Phantasmen (German Edition)
Wächter.
Tyler hob das Kinn und fixierte ihn mit einem finsteren Blick. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn, wo ihn ein anderer Söldner mit dem Gewehrkolben erwischt hatte. Der Arzt hatte sich auch diese Verletzung ansehen wollen, aber Tyler hatte erwidert, er solle sich zum Teufel scheren und mit Haven und dem Rest der Bande verrecken.
Ich stieß ihn mit dem Knie an, um ihn davon abzuhalten, sich mit dem Wächter anzulegen. »Lass es«, raunte ich ihm zu. »Hat keinen Zweck.«
»Hey«, sagte der Mann zu mir, »das gilt auch für dich.«
Ich lehnte mich gegen die Bordwand. Wer immer die Antonov konstruiert hatte, hatte keinen Gedanken an Bequemlichkeit verschwendet. Jeder Notsitz in der U-Bahn war komfortabler. Es gab weit weniger Fenster als in einer gewöhnlichen Maschine, höchstens zehn auf jeder Seite: kreisrunde Luken aus verkratztem Kunststoff. Eine befand sich zwischen Tyler und mir, und wenn ich mir Hals und Oberkörper verrenkte, konnte ich einen Blick hinaus in die Schwärze werfen. Viel zu sehen gab es nicht, nur verschwommene Lichterflecken, tief unter uns und weit entfernt. Die südspanischen Küstenstädte erstrahlten als Perlenkette aus Totenlicht. Die Maschine flog hoch über dem Mittelmeer nach Westen, der Straße von Gibraltar und dem offenen Atlantik entgegen.
Immer wieder sah ich zu Emma hinüber, die reglos in ihrem straff gespannten Gurt hing. Einmal kam wieder der Arzt herüber, strich ihr das hellblonde Haar aus der Stirn, hob eines ihrer Lider mit dem Daumen und nickte zufrieden.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte er zu mir. »Es geht ihr gut.«
»Wie heißen Sie?«
»Peterson.« Der rothaarige Riese wirkte gutmütig und besorgt, nicht wie jemand, der gleichgültig dabei zusah, wie eine Passagiermaschine voller Menschen in die Luft gesprengt wurde.
»Doc Peterson flickt alles zusammen, was noch atmet«, sagte einer der Wächter und die beiden anderen nickten. Peterson musste sich ihren Respekt verdient haben. Es konnte nicht schaden, freundlich zu ihm zu sein.
Tyler sah das offenbar anders. »Haben Sie auch nach der Explosion der Iberia-Maschine versucht, noch irgendwas zusammenzuflicken ? Vielleicht ein paar von den Kindern, die in der Maschine verbrannt sind?«
Peterson zeigte sich unbeeindruckt und sah wieder mich an. »Deine Schwester wird in ein paar Stunden wieder wach sein, lange vor der Landung. Sie wird nicht mal Kopfschmerzen haben und nach ein paar Minuten wahrscheinlich ausgeschlafener sein als wir anderen.«
»Sie hätten sie nicht betäuben müssen.«
»Der Colonel hielt es für angebracht. Nachdem sie einmal losgelegt hatte, wollte sie den Mund nicht mehr halten.«
Ich wechselte einen Blick mit Tyler. »Was hat sie –«
»Filmtitel«, sagte Peterson. »Hunderte davon, einen nach dem anderen. Seltsames Zeug, nicht gerade das, was ich von einem Mädchen in ihrem Alter erwartet hätte. Die meisten klangen wie Western.«
Ich musste grinsen. Emma konnte die größte Nervensäge der Welt sein, aber manchmal war sie auch die liebenswerteste.
»Das war, nachdem sie uns erzählt hat, dass sie ganz allein im Zug übernachtet hat«, fuhr Peterson fort. »Ihr hättet sie nach der Sache in der Hot Suite dort abgesetzt, um sie loszuwerden, hat sie gesagt. Und als der Colonel sie nach den Gründen gefragt hat, fing sie mit diesen Filmen an. Sie wollte und wollte nicht damit aufhören, also mussten wir sie ruhigstellen.«
Wieder sah ich voller Zuneigung zu Emma. Jeder andere hätte sich von diesen Männern und ihrem Waffenarsenal einschüchtern lassen.
»Immerhin haben Sie sie nicht gleich erschossen«, sagte Tyler.
Peterson wollte etwas erwidern, aber der Wächter von vorhin kam ihm zuvor. »Der Colonel hat einen Narren an der Kleinen gefressen. Jeder andere –«
Mit einem metallischen Laut wurde das Schott zum Cockpit entriegelt. Haven trat heraus in den Frachtraum, blickte von Peterson zu uns und schloss leise die Tür hinter sich.
Der Doktor nickte kurz in seine Richtung, schlenderte zurück in den hinteren Teil des Flugzeugs, zog ein zerlesenes Buch aus seiner Gesäßtasche und ließ sich abseits der übrigen Söldner auf einem der Plastiksitze nieder.
Haven blieb vor Tyler und mir stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Seine Overalluniform war tadellos, als hätte er sie gerade erst gewechselt. Ich sah ihn zum ersten Mal aus unmittelbarer Nähe und erkannte, dass sein Auftritt vor der brennenden Sternwarte Spuren hinterlassen hatte. Beide
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