Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
kann ich Ihnen ebenso stellen. Was wollen Sie hier oben, auf dem hohen steilen Dach? Ganz in Schwarz und mit Zylinder?“
„Ich komme hier in regelmäßigen Abständen vorbei und habe zu tun. Ich kümmere mich um die Schornsteine.“
„Das ist ja interessant. Ich komme hier auch in regelmäßigen Abständen zu den Schornsteinen, um mich zu kümmern.“
„Aber Sie pflegen sie nicht. Von mir werden sie begutachtet und gekehrt. Das machen Sie ja wohl nicht. Sind Sie der neue Hausmeister?“
„Für mich sind die Schornsteine Verkehrswege und Transportmittel. Manchmal ärgere ich mich, dass sie so stauben. Sie sehen doch, dass ich ganz in Rot bin. Weshalb meinen Sie denn, dass ich der Hausmeister wäre?“
„Der Hausmeister- und Putzdienst für dieses Haus ist von einer anderen Firma übernommen worden. Und eine einheitliche Kluft kommt doch überall in Mode.“
Und so plätscherte das Gespräch noch eine Weile dahin, bis sie sich ernsthaft einander vorgestellt hatten und auf die Probleme ihres Berufsstandes zu sprechen kommen konnten.
Der Rote erzählte, dass er sich früher mit viel Schwung in die Schornsteine hatte fallen lassen, seinen Sack mit den Geschenken auf dem Rücken. Heute ließe er zuerst den Sack am Seil vorsichtig nach unten, denn die Schornsteine würden immer enger. Dann würde er vorsichtig folgen, immer besorgt, nicht steckenzubleiben: „Stellen Sie sich das einmal vor, ich würde festsitzen und geräuchert wie ein Stück Schinken!“ Da musste der Schornsteinfeger allerdings widersprechen, denn über die Entwicklung der Schornsteinformate kannte er sich aus, und er zitierte aus der Heizungsanlagenverordnung und der Heizkesselwirkungsgradrichtlinie. Zugleich bemühte er sich, Trost und Zuspruch zu spenden: Wer dick sei, sei lustig. Und: Fettleibigkeit sei ein Zeichen hart erarbeiteten Wohlstandes. Er solle sich nur einmal die Rapper in den Musiksendungen des Fernsehens ansehen.
Aber der Weihnachtsmann schaute nicht fern, sondern im Augenblick schlecht gelaunt in die hinter den Dächern auf der anderen Straßenseite untergehende Sonne. Doch auch der Bezirksschornsteinfegermeister konnte hadern und nörgeln. Früher öffneten sich dem öffentlich beliehenen Handwerker alle Türen wie von selbst, der schwarze Mann war der freundliche Glücksbringer, der in viele begehbare Schornsteine hinein durfte. Heute diskutierte er mit den Kunden die Gebührenordnung und war ständig dabei, Messungen durchzuführen und die verschiedenen Daten zu digitalisieren und in Excel-Tabellen zu berechnen. Dabei hatte er den Beruf gewählt, weil er aufs Dach wollte!
Als er das hörte, offenbarte der Weihnachtsmann eine andere Seite seiner Persönlichkeit: Er schwärmte, wie schön das sein müsste, ständig mit Zahlen umzugehen, zu rechnen und zu kalkulieren, mit Zahlenmaterial zu argumentieren. Endlich einmal die Gefühle beiseitelassen zu können, sich emotional nicht zu verausgaben, keine strapaziösen Touren durch zu enge Schornsteine unternehmen zu müssen! Seine Augen leuchteten – und der Schornsteinfeger rang um Fassung: Wie schön musste es sein, Groß und Klein zu beglücken, Geschenke zu überbringen, die alten und die neuen Schornsteine von innen zu erleben, die verschiedene formale Gestaltung, das unterschiedliche Mauerwerk.
Und so kam diese magische Begegnung auf dem Dach zu ihrem glücklichen Ende: Sie tauschten ihre Kleidung und mit ihr ihre Berufe. Der Schornsteinfeger fuhr rot gewandet in den Schornstein ein und der Weihnachtsmann stieg ganz in Schwarz ins Treppenhaus.
Im Gemüsegeschäft an der Ecke war wenig später die Rede von dem neuen Schornsteinfeger, seiner gepflegten Erscheinung, der sei ja so freundlich. Die Hausfrau legte ihre zarte Hand in den Bart des etwas überraschten Weihnachtsmannes. Er wirkte anders als im letzten Jahr, und dennoch kam er ihr bekannt vor.
16. Dezember
Xaramas‘ Geheimnis
Von Mary Clover
Dunkelheit umhüllte, wie ein feierlicher Begleiter, den riesigen Bauklotz, der beinahe einer prunkvollen Burg entsprach. Kleine runde Türmchen zwirbelten sich an den Seiten des Gebäudes in die Höhe und garnierten diesen Bau mit ihrer einzigartigen Pracht. Schwere, klobige Stufen führten auf ein riesiges Portal zu, das sich groß und dunkel vor einer riesigen Eichentür erhob.
Der Garten war ebenso außergewöhnlich. Undurchdringliches Gestrüpp umklammerte das Gemäuer. Alte Akazien verknoteten sich vor dem Altbau zu einem gigantischen Torbogen und reckten ihre
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