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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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überhaupt nicht zu ihr. Dennoch war gerade sie in meiner Vorstellung unwiederholbar und außerordentlich, und nichts konnte das ändern.
    Keinesfalls hätte man sie verschlossen nennen können; doch bedurfte es längerer Bekanntschaft oder größerer seelischer Nähe, um zu erfahren, wie ihr Leben bisher verlaufen war, was sie liebte, was sie nicht liebte, was sie interessierte und was ihr wertvoll war an Menschen, auf die sie traf. Sehr lange bekam ich von ihr nicht die geringste Äußerung zu hören, die sie persönlich charakterisiert hätte, obgleich ich mit ihr über die unterschiedlichsten Themen sprach; gewöhnlich hörte sie schweigend zu oder antwortete einsilbig. Im Lauf vieler Wochen erfuhr ich über sie wenig mehr als in den ersten Tagen. Zugleich hatte sie nicht den geringsten Anlass, irgendetwas vor mir zu verbergen, es war lediglich die Folge ihrer natürlichen Zurückhaltung, und diese musste mir einfach seltsam erscheinen. Wenn ich sie nach etwas fragte, wollte sie nicht antworten, ich wunderte mich jedesmal wieder, und sie meinte:
    »Ist dir das nicht egal?«
    Oder:
    »Wie kann das von Interesse sein?«
    Doch mich interessierte alles, was sie betraf, auch wollte ich wissen, wie es ihr vor unserer Begegnung ergangen war.
    Charakteristisch für sie war eine eigentümliche seelische Zögerlichkeit, die überhaupt nicht der Schnelligkeit und Exaktheit ihrer sonstigen Bewegungen entsprach, ihrem ungestümen Gang und der Blitzartigkeit und Unfehlbarkeit ihrer körperlichen Reflexe. Nur wo Seelisches und Körperliches eine untrennbare Verbindung eingingen, beispielsweise in der Liebe, nur dort war die ansonsten makellose Harmonie ihres Körpers gestört, und in diesem zufälligen Auseinanderklaffen lag für sie stets etwas beinahe Quälendes. Jene seltsame, fast anatomische Disharmonie, die mir am Abend unserer ersten Begegnung aufgefallen war, dieses Nebeneinander von der hohen und sehr klar umrissenen Stirn und dem begierigen Lächeln, war kein zufälliger Eindruck gewesen. Zweifellos gab es in ihr eine Diskrepanz zwischen dem, wie ihr Körper existierte, und dem, wie ihr Seelenleben, zögernd und zurückbleibend, diesem sensiblen Existieren nachfolgte. Hätte sich das abtrennen und vergessen lassen, wäre sie vollkommen glücklich gewesen. Die Liebe zu ihr erforderte eine beständige, phantasiereiche Anstrengung. Niemals tat sie etwas, um den oder jenen Eindruck zu erwecken; niemals überlegte sie, wie das, was sie sagte, sich auswirken könnte. Sie existierte ganz für sich, ihre Gefühle für andere waren entweder von körperlicher Anziehung diktiert, die so unbedingt war wie das Bedürfnis, zu schlafen oder zu essen, oder von einer Seelenbewegung, die den Seelenbewegungen der meisten Menschen entsprach, jedoch mit dem Unterschied, dass sie sich unter gar keinen Umständen anders verhielt, als sie wollte. Wünsche anderer spielten für sie nur dann oder nur so lange eine Rolle, wie sie mit ihren eigenen Wünschen übereinstimmten. Mich verblüffte schon fast von den ersten Tagen an ihre innere Lässigkeit, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem, was ihr Gesprächspartner über sie denken mochte. Aber sie liebte, mit einer kalten und beharrlichen Liebe, gefährliche und starke Empfindungen.
    Solcherart war ihr Wesen, und das zu verändern, denke ich, war außerordentlich schwierig. Und trotzdem, in dem Maße, wie die Zeit verging, nahm ich allmählich eine gewisse menschliche Wärme an ihr wahr, wie wenn sie nach und nach auftaute. Ich fragte sie oft und lange aus, sie antwortete verhältnismäßig selten und verhältnismäßig wortkarg. Sie erzählte mir, sie sei in Sibirien aufgewachsen, in tiefster Provinz, wo sie bis zum Alter von fünfzehn gelebt hatte. Die erste Stadt, die sie zu Gesicht bekam, war Murmansk. Sie hatte weder Brüder noch Schwestern, und ihre Eltern kamen auf See um: Während einer Reise von Russland nach Schweden explodierte ihr Dampfer auf einer Treibmine. Sie war damals siebzehn und lebte in Murmansk. Bald darauf heiratete sie einen amerikanischen Ingenieur, jenen Mann, von dessen plötzlichem Tod sie vor einem Jahr in London per Telegramm erfahren hatte. Sie erklärte mir, er habe ihr damals gefallen, weil er eine graue Haartolle hatte, außerdem, weil er ein guter Skiläufer und Schlittschuhläufer war und sehr interessant von Amerika erzählte. Mit ihm zusammen verließ sie Russland, ungefähr zu der Zeit, als ich am anderen Ende des riesigen Landes, im zermürbenden Wahnwitz

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