Phantom des Alexander Wolf
mehrmals hintereinander stießen. Ich hielt beim Gehen ihre Taille umfasst, und sie sagte mit träger und ruhiger Stimme, ohne jede Spur von Protest:
»Also, Chéri, du verhältst dich ganz wie ein Apache.«
Vor der Rückkehr nach Hause gingen wir manchmal noch in ein Nachtcafé oder eine Bar, und sie wunderte sich, dass ich, ganz gleich, in welchem Quartier, alle Garçons vom Sehen kannte wie auch alle Frauen, die auf den Hockern an der Theke saßen, in Erwartung des nächsten Klienten. Sie trank nur harte Sachen, ihre Widerstandskraft gegen Trunkenheit war außergewöhnlich, was sich, denke ich, mit langem Training und dem Aufenthalt in angelsächsischen Ländern erklären ließ. Erst wenn sie ein gehöriges Quantum Alkohol getrunken hatte, wurde sie anders, als sie sonst war, und dann zog es sie unwiderstehlich dorthin, wo sie nicht hinsollte. »Fahren wir zur Bastille, zu einem Bal musette, ich möchte mir die gens du milieu 12 anschauen. Fahren wir zur Rue Blondel, zum berühmten Bordell.« – »Das ist doch uninteressant, Lenotschka.« – »Und wo treffen sich hier die Päderasten? Du musst das wissen, was bist du für ein Journalist, wenn du das nicht weißt? Fahren wir, ich bitte dich, ich mag Päderasten so gern.« – »Und wenn wir fahren und mich jemand mit dem Messer verletzt, was machst du dann?« – »Wozu stimmst du dich auf so unnützes Heldentum ein, niemand verletzt dich mit dem Messer, das ist doch schlechte Literatur.« Manchmal kam sie auf völlig absonderliche Ideen. Ich entsinne mich, wie sie mich einmal ausfragte, wo man nachts Konfekt kaufen könne. Ohne ihre wahren Absichten zu ahnen, sagte ich es ihr. Wir saßen im Taxi, sie hieß den Chauffeur hinfahren und kam aus dem Geschäft, überladen mit Konfektpäckchen.
»Was willst du damit machen?«
»Chéri«, sagte sie mit einer für sie ganz untypisch zärtlichen Stimme, die mich erkennen ließ, dass sie vollkommen betrunken war – bislang war das äußerlich nicht bemerkbar gewesen. »Ich werde dich küssen, ich werde alles tun, was du möchtest, aber du musst mir eine kleine Bitte erfüllen.«
»Da muss ich mich ja auf was gefasst machen«, sagte ich – ich hatte laut gedacht.
»Eine so kleine«, fuhr sie fort und zeigte den Nagel ihres kleinen Fingers. »Du müsstest wissen, und ich bin mir sicher, dass du weißt, in welchem Quartier von Paris es junge Prostituierte gibt, Mädchen zwischen zehn und fünfzehn.«
»Nein, ich habe nicht die geringste Vorstellung.«
»Möchtest du, dass ich den Chauffeur ausfrage? Du wärst in einer dummen Lage.«
»Aber was willst du von diesen Mädchen?«
»Ich möchte das Konfekt an sie verteilen. Verstehst du, das wird ihnen Freude machen.«
Es gelang mir nur mit großer Mühe, sie davon abzubringen. Manchmal war sie jedoch dermaßen beharrlich, dass mir bloß die Wahl blieb, sie mit Gewalt zurückzuhalten oder nachzugeben; somit waren wir fast überall, wo sie hinwollte, und ich merkte, dass alle diese Orte sie eigentlich nicht besonders interessierten. Sie ließ jedesmal nur einem ihrer überraschenden Wünsche freien Lauf, aber sobald dieser leicht erfüllbar wurde, verlor er für sie einen Großteil seiner Verlockung. Starker Empfindungen halber war sie zu allem bereit. Aber da gab es keine starken Empfindungen, da gab es im einen Fall nur Zuhälter in hellgrauen Schirmmützen, voll bangem Respekt gegenüber den Polizisten, die am Eingang zum Bal musette Dienst taten, im anderen Fall dickliche nackte Frauen mit schlaffen Körpern und tödlich animalischer Dummheit in den Augen, und im dritten geschminkte junge Männer mit laxem Gang und einem schwer fassbaren Anflug seelischer Syphilis im Gesicht. Und sie sagte:
»Du hast recht, es ist langweilig.«
Mit Vorliebe fuhr sie sehr schnell Auto. Als sie mich einmal bat, einen Wagen ohne Chauffeur zu mieten, und wir aus der Stadt hinausfuhren und ich ihr vertrauensvoll das Steuer überließ, fuhr sie den Wagen mit einer rasenden Geschwindigkeit, und ich war mir nicht sicher, ob wir von dieser Spazierfahrt nach Hause kämen oder doch ins Krankenhaus. Sie konnte hervorragend Auto fahren, trotzdem hätte ich in Kurven und an Kreuzungen jedesmal am liebsten die Augen geschlossen und alles um mich her vergessen. Nachdem wir schließlich wie durch ein Wunder dem dritten Unfall entgangen waren, sagte ich zu ihr:
»Wir hätten schon drei Zusammenstöße haben können.«
Ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, nahm sie die linke Hand hoch, hielt mir
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