Phantom des Alexander Wolf
des Bürgerkriegs, durchs versengte Gras der glühend heißen südlichen Steppen irrte, unter einer hochstehenden Sonne. Sie erzählte von einer Weltreise, davon, wie der transatlantische Dampfer, auf dem sie reiste, nachts den Bosporus durchfuhr, dann das Marmarameer und die Ägäis, wie heiß es war und wie sie Foxtrott tanzte. Ich erinnerte mich an diese Nächte, ihre besondere dunkle Gluthitze und wie ich damals stundenlang am Hochufer der Dardanellen saß und aus dem schwülen Dunkel auf die Lichter der riesigen Dampfer schaute, die so nah an mir vorüberfuhren, dass ich die Musik ihrer Orchester hörte und den langsam sich entfernenden Reihen der leuchtenden Bullaugen nachsah, die in dem Maße, wie der Dampfer sich entfernte, zu einem erst funkelnden, dann verblassenden und schließlich nebligen Lichtfleck verschmolzen. Ich denke, vielleicht habe ich auch ihren Dampfer gesehen und ihm nachgeschaut in jener begierigen und blinden Hochspannung, in der ich mich damals befand, während dieser ersten Jahre meines Aufenthalts im Ausland.
Sie hatte jahrelang ein interessantes Leben geführt, erfüllt mit überraschenden Ereignissen, Reisen, Begegnungen und einigen, wie sie sagte, »unvermeidlichen« Liebesaffären. Sie war in Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich und Amerika gewesen, in jedem dieser Länder hatte sie ziemlich lange Zeit zugebracht. Nach England war sie zum erstenmal vor zweieinhalb Jahren gekommen.
»Danach war alles einfach«, sagte sie.
»Einfach, heißt das: Paris, Rue Octave Feuillet, der Boxkampf Johnson–Dubois und so weiter? Übrigens, worauf hattest du gehofft, da du keine Eintrittskarte hattest? Auf Schwarzhändler?«
»Auf Schwarzhändler – oder auf den Zufall. Wie du siehst, habe ich mich nicht getäuscht.«
»Haben die Ergebnisse des Boxkampfs deine Erwartungen übertroffen?«
»In mancher Hinsicht – ja.«
Je mehr ich sie kennenlernte, desto mehr gewöhnte ich mich an die unnatürliche Trennung von seelischem und körperlichem Leben, die für sie so charakteristisch war. Wahrscheinlich hatte diese Trennung schon immer in ihr existiert, aber jetzt hatte sie fast etwas Krankhaftes, und mir kam mehrfach der Gedanke, dem jetzigen Zeitabschnitt ihres Daseins müsse eine Erschütterung vorausgegangen sein, von der ich nichts wusste und die sie ihrerseits zu erwähnen vermied. Das Leben mit ihr umfasste zwei scharf unterschiedene Liebesgeschichten: die sinnliche Intimität, bei der alles ganz natürlich war, und die seelische Nähe, eine unendlich viel schwierigere, viel zögerlichere, womöglich war sie auch gar nicht vorhanden. Die erste Einschätzung dessen, was da geschah, musste bei jedem Mann, der zu ihrem Liebhaber wurde, unweigerlich falsch sein; diese Fehleinschätzungen wären umso unvermeidlicher, als sie vollkommen natürlich wären. Ich stellte mir mehrfach ihre Abfolge vor. Der erste Fehler bestünde in der Vorstellung, die oder jene Entwicklung der Ereignisse hinge von dem Mann ab. In Wirklichkeit ging die Wahl stets von ihr aus, und nicht nur die Wahl, sogar auch jene schwer zu fassende erste Bewegung, die den Beginn einer Liebesgeschichte bestimmt und in der oftmals alles beschlossen liegt, was des weiteren geschehen würde. Aber diese ihre Besonderheit war natürlich nichts Ungewöhnliches; in sehr vielen Fällen, und das hatte ich immer gewusst, hing sowohl die Schürzung des Knotens wie auch die Auflösung einer Liebesgeschichte eben von der Frau ab. Der zweite Fehler bestünde darin, das alles könnte als etwas Endgültiges angesehen werden. In Wirklichkeit bedeutete es nichts oder fast nichts und konnte jeden Moment wieder aus sein, ohne jede Erklärung und ohne die geringste Möglichkeit eines Neubeginns. Und der dritte, der Hauptfehler: Erst nach langer Zeit und nur im Falle einer seltenen und glücklichen Übereinstimmung würde schließlich die wahre Liebe beginnen, die, den äußeren Anzeichen nach zu schließen, längst vollendete Tatsache war. Ich suchte lange nach einem Vergleich, der das charakterisiert hätte, und fand keinen; vielleicht wäre es der Berührung kalter Lippen vergleichbar, die sich langsam erwärmen und erst später ihren verlorenen heißen Reiz wiedererlangen – oder ihn gar nicht mehr erlangen und eine Erinnerung an eisiges Unbefriedigtsein hinterlassen sowie an unnützes Bedauern, was alles hätte sein können und was nicht gewesen war. Am beständigsten war in der Beziehung zu ihr jedoch die unbewusste und unvermeidliche
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