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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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zweifellos. Dennoch hatte ich zweimal in seinen Augen diesen schrecklichen Ausdruck gesehen: zuerst, als er erfuhr, dass ich es war, der auf ihn geschossen hatte, und vom Tisch aufstand, dann, als er »Lieber Freund« zu mir sagte. Letztlich war er es, der damals, in Russland, mir nachgesprengt war auf seinem weißen Hengst, und eigentlich hätte ich das Opfer sein sollen, nicht er. Außerdem kehrte er nicht von ungefähr im Gespräch ständig zu diesem jähen und gewaltsamen Abbruch des Rhythmus zurück, einem unbedingt jähen und gewaltsamen.
    Ja, natürlich. Er nämlich war Träger jener immer gleichen, unausrottbaren und unbesiegbaren Idee. Der englische Schriftsteller, Verfasser »jenes Buches«, das Phantom des Alexander Wolf, dieser Reiter auf dem apokalyptischen weißen Pferd, der Mann, der damals, nach meinem Schuss, auf dem Weg lag – dieser Mann war ein Mörder. Er wollte das vielleicht nicht, er war, sollte man meinen, zu klug und zu zivilisiert, um das zu wollen. Aber es war undenkbar, dass er diese unpersönliche Anziehungskraft des Tötens nicht kannte, die, so von fern und theoretisch, auch ich kannte und mit der die Geschichte der Welt begonnen hat – an dem Tag, als Kain seinen Bruder totschlug. Ebendeshalb war meine Einbildungskraft all die Jahre so hartnäckig zu ihm zurückgekehrt. Die Erinnerung an ihn war stets mit der Vorstellung des Tötens verbunden, einer umso tragischeren, als ihr nicht zu entgehen war, kam diese Idee doch in Gestalt einer doppelten Unausweichlichkeit daher: den Tod bringen oder ihm entgegengehen, töten oder getötet werden; auf keine andere Weise ließ sich die blinde Bewegung aufhalten, die Alexander Wolf verkörperte. Überhaupt war das eine der am schwersten zu überwindenden Vorstellungen, die zugleich Frage und Antwort enthielt, denn zu allen Zeiten hatten die Menschen auf Töten mit Töten reagiert, ob das nun ein Krieg war oder ein Geschworenengericht, eine Kollision von Gefühlen oder von Interessen, Rache oder Gerechtigkeit, Angriff oder Verteidigung.
    Worin lag das Verführerische gerade dieser Art des Verbrechens, unabhängig davon, wie es verstanden wurde und welche äußeren Gründe oder Impulse es veranlassten? Den wenigen Momenten, wenn jemandes Leben gewaltsam abgebrochen wird, eignet die Idee einer ungeheuren, fast unmenschlichen Machtfülle. Wenn jeder Wassertropfen unterm Mikroskop eine ganze Welt ist, so enthält jedes Menschenleben in seiner endlichen und zufälligen Hülle ein riesiges Universum. Doch selbst wenn man sich von diesen wie unterm Mikroskop vergrößerten Vorstellungen löst, bleibt noch etwas anderes augenfällig. Jede menschliche Existenz hängt mit anderen menschlichen Existenzen zusammen, diese wiederum hängen mit noch anderen zusammen, und wenn wir diese wechselseitigen Beziehungen bis zum logischen Ende verfolgen, nähern wir uns der Gesamtzahl der Menschen, die die riesige Fläche der Erdkugel besiedeln. Über jedem Menschen, über jedem Leben schwebt ständig die Gefahr des Todes in all ihrer unendlichen Vielgestaltigkeit: Katastrophen, ein Zugunglück, Erdbeben, Sturm, Krieg, Krankheit, ein Unfall – all das sind Erscheinungsformen einer blinden und erbarmungslosen Gewalt, deren Besonderheit darin liegt, dass wir niemals vorher den Moment bestimmen können, wann er eintreten wird, dieser jähe Bruch in der Weltgeschichte. »Denn ihr wisset weder Tag noch Stunde…« Und da erhält einer von uns, dessen Seelenkraft ausreicht, um den schrecklichen Widerstand dagegen zu überwinden, auf einmal die Möglichkeit, für kurze Zeit stärker zu werden als Schicksal und Zufall, Erdbeben und Sturm, und genau zu wissen, er würde in einem bestimmten Moment jene komplizierte und langwierige Evolution von Gefühlen, Gedanken und Existenzen aufhalten, jene Bewegung eines vielgestaltigen Lebens, die ihn hätte zertreten müssen in ihrem unaufhaltsamen Vorwärtslauf. Liebe, Hass, Angst, Bedauern, Reue, freier Wille, Leidenschaft – jedes Gefühl und jeder Gefühlskomplex, jedes Gesetz und jeder Gesetzeskomplex, alles ist ohnmächtig vor diesem kurzen Machtmoment des Tötens. Mir gehört diese Macht, ich kann auch ihr Opfer werden, und wenn ich ihre Anziehungskraft empfunden habe, wird mir alles, was sich außerhalb dieser Vorstellung befindet, als phantomhaft, unwesentlich und unbedeutend erscheinen, und schon kann ich nicht mehr das Interesse an den zahllosen unwichtigen Dingen teilen, die für Millionen Menschen den Sinn des Lebens

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