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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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Aufbietung aller Kräfte gegen diesen Wunsch. Außerdem fürchte ich den Tod überhaupt nicht, vielmehr ist mir das Leben nie als besonderer Wert erschienen.«
    »Dabei ist es das einzig Wertvolle, das zu kennen uns gegeben ist.«
    Ich schaute ihn verwundert an. Aus seinem Mund klang solch ein Satz besonders überraschend.
    »Ich begriff das, als ich sterbend auf dem Weg lag. In jenen Augenblicken war das klar für mich, von geradezu blendender Klarheit. Später aber konnte ich dieses Gefühl nie mehr rekonstruieren, und weil ich es nicht rekonstruieren konnte, verwandelte ich mich in den Verfasser dieses Buches. Immer, mein Leben lang, habe ich darauf gewartet, dass plötzlich etwas gänzlich Unvorhergesehenes geschähe, eine unglaubliche Erschütterung, und ich würde von neuem erblicken, was ich früher so geliebt hatte, diese warme und sinnliche Welt, die ich dann verlor. Weshalb ich sie verlor, weiß ich nicht. Doch geschehen ist es damals. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie schrecklich das war, dieses Verschwinden von allem, worin ich gelebt hatte – dieser Weg, diese Sonne und Ihre schläfrigen Augen über mir. Ich dachte, Sie wären längst umgekommen. Sie taten mir leid, Sie waren mein Gefährte – und da entschwanden Sie in einem Abgrund von Zeit und Entfernung, und ich war der einzige Mensch, der Sie davonreiten sah. Wenn ich damals hätte sprechen können, hätte ich Ihnen nachgerufen, Sie sollten innehalten, er warte auf sie, wie er auf mich gewartet hatte, und ein zweites Mal werde er nicht danebenschießen. Und wie Sie sehen, hätte ich mich getäuscht. Wenn Sie wüssten, wie oft ich an Sie gedacht habe! Ich wollte die Zeit zu gerne zurückdrehen. Ich wollte nicht Ihren Tod auf dem Gewissen haben, ich wollte nicht meinerseits Sie zum Mörder gemacht haben.«
    »Auch ich habe oft daran gedacht«, sagte ich. »Ich hätte viel dafür gegeben, wenn mich all die Jahre nicht Ihr Phantom verfolgt hätte.«
    »Wie fiktiv alles ist!«, sagte Wolf. »Sie waren überzeugt, dass Sie mich getötet hatten, ich war mir sicher, dass Sie letztlich durch meine Schuld umgekommen waren, und wir hatten beide nicht recht. Aber was bedeutet das schon, ich meine, recht zu haben oder nicht recht zu haben, wenn Sie so viele Jahre in unnützem Bedauern verbrachten und ich – in Erwartung des entgegengesetzten Wunders? Wer bringt uns diese Zeit zurück, und wer wird Ihr oder mein Schicksal wenden? Und wie, bitte schön, kann man danach noch an irgendwelche naiven Illusionen glauben?«
    »Man kann wissen, dass sämtliche Illusionen nutzlos sind und dass es letztlich keinen Trost gibt. Aber erstens führt das zu nichts, und wenn wir zweitens zu keiner Illusion fähig sind, sei sie noch so unbedeutend, so bleibt uns lediglich, was Sie Abbruch des Rhythmus nennen. Da wir noch existieren, ist vielleicht nicht alles verloren.«
    Wolf schwieg eine Zeitlang, den Kopf gesenkt und auf beide Hände gestützt, wie ein Schüler vor einer schwierigen Aufgabe. Als er seine Augen zu mir hob, stand darin erneut jener fast schreckliche Ausdruck, der zum erstenmal aufgetaucht war, nachdem ich ihm gesagt hatte, ich hätte auf ihn geschossen. Aber wie er mich nun ansprach, passte seltsamerweise gar nicht dazu.
    »Lieber Freund«, sagte er, »wissen Sie, weshalb ich nach Paris gekommen bin?«
    Welches Geständnis konnte dieser Mann noch machen?
    »Von meinem Aufenthalt hier hängt die Lösung eines komplizierten psychologischen Problems ab, das von doppeltem Interesse ist: von persönlichem, das ist vor allem wichtig, und von abstraktem, das ist auch nicht ohne Bedeutung.«
    »Entschuldigen Sie meine Taktlosigkeit – in welchem Maße hängt die Lösung von Ihnen persönlich ab?«
    »Ganz und gar.«
    »Dann ist es kein Problem.«
    »Un cas de conscience 15 , wenn Sie so wollen. Doch gibt es keine größere Versuchung, als die Ereignisse zu zwingen, dass sie nach Ihrem Willen ablaufen, ohne dass Sie dabei vor irgendetwas haltmachen.«
    »Und wenn sich das als unmöglich erweist?«
    »Dann bleibt nur, die Ursache zu vernichten, die diese Ereignisse veranlasst hat. Das wäre eine der möglichen Lösungen, freilich die am wenigsten wünschenswerte.«
    Ich verließ das Restaurant gleich nach ihm. Und ich sah, wie er ein Taxi anhielt, sah, wie er in das Auto stieg, und hörte, wie die Tür mit einem schluchzenden Laut sanft zuschlug. Es war ein warmer Maitag, die Sonne schien; es war gegen fünf Uhr nachmittags.
    Ich kehrte nach Hause zurück und setzte

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