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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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glücklich waren. Shakespeare konnte nicht glücklich sein. Michelangelo konnte nicht glücklich sein.«
    »Und Franz von Assisi?«
    Wir überquerten auf einer Brücke die Seine. Über dem Fluss stand früher Nebel, in dem halb phantomhaft die Stadt auftauchte.
    »Er liebte die Welt, wie Menschen die kleinen Kinder lieben«, sagte Wolf. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob er glücklich war. Denken Sie daran, dass Jesus Christus stets traurig gewesen ist, außerhalb dieser Traurigkeit ist das Christentum völlig undenkbar.«
    Dann fügte er in anderem Tonfall hinzu:
    »Mir war immer, als gleiche das Leben irgendwie einer Eisenbahnreise – diese Zögerlichkeit des persönlichen Daseins, umschlossen von ungestümer äußerer Bewegung, diese scheinbare Gefahrlosigkeit, diese Illusion von Dauer. Und dann, in einem einzigen überraschenden Moment, eine einstürzende Brücke oder ein nicht festgeschraubtes Gleis, und jener Abbruch des Rhythmus, den wir Tod nennen.«
    »So stellen Sie ihn sich vor?«
    »Sehen Sie ihn denn anders?«
    »Ich weiß nicht. Doch wenn es nicht zu diesem, wie Sie das nennen, gewaltsamen Abbruch des Rhythmus kommt, kann es auch anders sein: ein langsames Fortgehen, ein allmähliches Erkalten und ein fast unmerkliches, fast schmerzfreies Gleiten dorthin, wo das Wort ›Rhythmus‹ wohl keine Bedeutung mehr hat.«
    »Jedem Menschen eignet natürlich sein persönlicher Tod, mag auch seine Vorstellung davon falsch sein. Ich zum Beispiel bin mir sicher, dass ich so sterben werde, gewaltsam und jäh, fast so wie damals, bei unserer ersten Bekanntschaft. Ich bin fast davon überzeugt, mag das unter den friedlichen und gedeihlichen Bedingungen meines jetzigen Lebens auch wenig wahrscheinlich sein.«
    Wir verabschiedeten uns schließlich, und ich kehrte nach Hause zurück. Um drei Uhr mittags sollte ich ihn im Restaurant treffen, denn von der Hauptsache, von dem »Abenteuer in der Steppe«, war noch nicht die Rede gewesen.
    * * *
    Bei dieser Begegnung kam er mir ein wenig lebendiger vor als früher, sein Gang war elastischer, und in seinen Augen konnte ich diesmal den üblichen fernen Ausdruck nicht entdecken. Nur seine Stimme war genauso gleichmäßig und ausdruckslos wie immer.
    Ich erzählte ihm die Geschichte meines erfolglosen Versuchs, über ihn zu erfahren, was mich interessierte, insbesondere meinen Besuch bei dem Londoner Verleger. Ich konnte ihm nicht verschweigen, wie mich die letzten Worte dieses Mannes bestürzt hatten.
    »Ich muss gestehen«, erwiderte Wolf, »dass er eine gewisse Berechtigung hatte, so zu reden. Er glaubte, an einer sehr tragischen Geschichte, die er erlebt hat, sei ich schuld. Ich kann Sie leider nicht in Einzelheiten einweihen, dazu habe ich kein Recht. Sein Urteil über mich war im großen und ganzen falsch, aber ich verstehe ihn.«
    »Ein Aspekt ließ mir bei alledem keine Ruhe«, sagte ich, »ein, wenn Sie so wollen, rein psychologisch schwer zu erklärender Aspekt. Ich zweifelte nicht, dass die Beschreibung von Sascha Wolf, die Wladimir Petrowitsch gegeben hatte, der Wirklichkeit entsprach. Doch wie konnte dieser Sascha Wolf, der Partisan und Abenteurer, ›I’ll Come Tomorrow‹ schreiben?«
    Er lächelte unfroh, allein mit den Lippen.
    »Sascha Wolf hätte ›I’ll Come Tomorrow‹ natürlich nicht geschrieben, ich glaube, er hätte überhaupt nie etwas geschrieben. Aber ihn gibt es schon lange nicht mehr, dieses Buch hat ein anderer Mensch geschrieben. Ich finde, man sollte an das Schicksal glauben. Und in diesem Fall sollte man mit ebenso klassischer Naivität der Ansicht sein, dass Sie sein Werkzeug gewesen sind. Dann passt alles: der Zufall, der Schuss, Ihre sechzehn Jahre, Ihr jugendliches Augenmaß und« – er berührte mich am Arm – »diese Hand, die nicht gezittert hat.«
    Unwillkürlich dachte ich, wie aberwitzig seine Worte klangen: Wir saßen in einem russischen Restaurant, aus der Küche war Geschirrgeklapper zu hören und die gereizte Stimme des Kochs:
    »Ich sag zu ihr: Hauptsache, die Schnitzel, die Schnitzel sind überfällig.«
    »Sie sagen, dass Sie sich an alles erinnern, als wäre es gestern gewesen. Ich erinnere mich ebenfalls an alles. Als Sie nach Ihrem Sturz sich erhoben und so unbeweglich dastanden, dachte ich, Sie seien gelähmt vor Schreck. Hatten Sie damals keine Angst?«
    »Ich glaube nicht. Zunächst war ich benommen, überhaupt verstand ich nicht recht, was vor sich ging, ich war todmüde, wollte nur schlafen und kämpfte unter

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