Phantom
Nachricht an eine Nummer in Washington D. C. gefaxt: »Ja, ich werde kooperieren, aber es ist zu spät, zu spät, zu spät. Sie sollten besser herkommen. Das ist alles so unrecht!«
Als ich den Blick endlich vom Bildschirm löste und Vander auf die Print-Taste drückte, war mir schwindlig. Ich sah alles nur verschwommen und spürte jeden Muskel.
»Marino muß das sofort wissen. Hoffentlich können wir herausfinden, wessen Fax-Nummer das ist – die in Washington, meine ich.«
»Das dürfte kein großes Problem sein. Es gibt ja nur zehn Möglichkeiten für die letzte Zahl«, sagte Vander laut, um den Drucker zu übertönen. Er gab mir einen Ausdruck. »Ich werde das Schriftbild noch ein bißchen schärfer rausarbeiten, aber als Provisorium tut es diese Fassung ja erst mal. Übrigens, es ist wie verhext: Ich kriege das Foto von Waddells blutigem Daumenabdruck in Robyn Naismiths Haus partout nicht. Jedesmal wenn ich im Archiv anrufe, heißt es, sie hätten seine Akte noch nicht finden können.«
»Vergessen Sie nicht, es ist Weihnachtszeit!« sagte ich. »Di e arbeiten dort bestimmt mit stark reduzierter Belegschaft.«
Das Argument war zwar einleuchtend, doch mich beruhigte es nicht. Mein Unbehagen wuchs.
Wieder in meinem Büro, rief ich Marino an und erzählte ihm, was Neils Vander zu Tage gefördert hatte.
»Verdammt!« fluchte er. »Die Telefongesellschaft können wir vergessen: Mein Kontaktmann dort ist schon in die Ferien abgedüst, und sonst macht uns das da keiner am Weihnachtstag.«
»Vielleicht kriegen wir auch allein raus, an wen Jennifer Deighton das Fax geschickt hat«, meinte ich.
»Ich wüßte nicht, wie. Aber selbst wenn es Ihnen gelingt, was wollen Sie dann machen? ›Wer sind Sie?‹ faxen und hoffen, daß die Antwort lautet ›Hallo, ich bin Jennifer Deightons Mörder‹?«
»Wohl kaum. Außerdem ist nicht gesagt, daß derjenige, an den sie die Nachricht schickte, ihr Mörder ist. Nein, ich habe an etwas anderes gedacht: Wenn wir Glück haben, dann hat der Faxempfänger ein Label einprogrammiert.«
»Ein was?«
»Bei Faxgeräten der gehobenen Klasse haben Sie die Möglichkeit, Ihren Namen oder den Ihrer Firma einzuprogrammieren, und dieses Label steht dann auf allem, was Sie faxen. Aber in unserem Fall ist ein anderer Aspekt wichtig: Auf dem Display des Geräts, welches das Fax abschickt, erscheint auch der Name der Person, die das Fax erhält. Mit anderen Worten: Wenn ich Ihnen ein Fax ins Revier schicke, sehe ich auf dem Display meines Gerätes ›Richmond Police Department‹ über der Fax-Nummer, die ich gewählt habe.«
»Haben Sie zu einem solchen Gerät Zugang? Das Ding, das wir haben, taugt nichts.«
»Ich habe eines hier im Büro stehen.«
»Halten Sie mich auf dem laufenden! Ich muß jetzt weg.«
Ich machte mich daran, den Faxempfänger in Washington aufzuspüren, wobei ich die Nummer, die Vander gefunden hatte, jeweils mit einer Ziffer von null bis neun ergänzte. Nur bei einer Kombination ertönte ein schriller Maschinenton. Unser Faxgerät stand im Zimmer meiner Computerbetreuerin Margaret. Gott sei Dank war sie bereits in den Ferien. Ich machte die Tür zu, setzte mich an ihren Arbeitsplatz und dachte nach, während der Minicomputer summte und Modem-Lämpchen blinkten. Wenn ich ein Fax abschickte, würde als erstes das Label meines Büros auf dem Display des Gerätes erscheinen, das ich angewählt hatte. Ich mußte also den Prozeß abbrechen, bevor die Übertragung zu Ende war, damit die Angabe »Chief Medical Examiner« und unsere Nummer bereits erloschen waren, wenn der Empfänger auf seinem Display nachschaute.
Ich legte ein leeres Blatt ein, wählte die Washingtoner Nummer und wartete. Nichts. Verdammt! Das Gerät, das ich angewählt hatte, besaß kein Label. Entmutigt kehrte ich in mein Büro zurück.
Ich hatte mich gerade an meinen Schreibtisch gesetzt, als das Telefon klingelte.
»Dr. Scarpetta«, meldete ich mich.
»Nicholas Grueman. Was immer Sie mir durchzugeben versuchten, es ist nicht angekommen.«
»Wie bitte?« fragte ich verdutzt.
»Ich habe nichts bekommen als ein weißes Blatt mit Ihrem Büro-Label. ›Error-Code null-null-eins, bitte noch einmal schicken‹, heißt es hier.«
»Ich verstehe.« Die Haare auf meinen Armen stellten sich auf.
»Wollten Sie mir eine Ergänzung zu Ihrem Bericht schicken? Wie ich hörte, haben Sie sich den elektrischen Stuhl angesehen.«
Ich antwortete nicht.
»Sehr gewissenhaft, Dr. Scarpetta. Lobenswert Vielleicht
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