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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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haben Sie dadurch neue Erkenntnisse über die Abschürfungen an den Innenseiten von Mr. Waddells Armen gewonnen – die über dem fossa cubitalis? «
    »Bitte, geben Sie mir noch mal Ihre Faxnummer!« sagte ich.
    Er tat es. Die Nummer entsprach der auf meiner Liste. »Steht das Gerät in Ihrem Büro, oder teilen Sie es sich mit anderen Anwälten?«
    »Es steht hier neben meinem Schreibtisch. Sie brauchen keinen besonderen Vermerk einzugeben. Aber beeilen Sie sich, Dr. Scarpetta! Ich wollte heute einmal zeitig nach Hause.«
    Wenig später verließ ich das Büro – enttäuscht und verwirrt. Marino war nicht zu erreichen. Ich fühlte mich wie in einem Netz gefangen, und es beunruhigte mich zutiefst, daß ich nicht wußte, wer all die Fäden spann. Einem Impuls folgend, hielt ich an einem Platz, wo ein alter Mann Weihnachtskränze und Christbäume verkaufte. Die Luft duftete würzig nach Immergrün. Natürlich war die Auswahl an Bäumen nur noch sehr begrenzt. Mein Beutestück zu dekorieren erforderte mehr orthopädisches Können als Festtagsstimmung, aber schließlich stand der Baum aufrecht und stolz im Wohnzimmer, gestützt von klug plazierten Krücken, die vom Schmuck und den Lichtergirlanden – noch schnell auf dem Heimweg besorgt – verdeckt wurden.
    »Schau!« sagte ich zu Lucy, als ich zurücktrat um mein Werk zu bewundern. »Was meinst du?«
    »Ich meine, es ist merkwürdig, daß du dich so plötzlich entschlossen hast, einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Wann hattest du das letzte Mal einen?«
    »Während meiner Ehe – damals machte ich mir noch viel Mühe zu Weihnachten.«
    Lucy nahm das Kamingitter weg und rückte mit dem Feuerhaken die Scheite zurecht. »Hast du jemals mit Mark Weihnachten gefeiert?«
    »Na, hör mal! Wir haben dich doch letztes Weihnachten gemeinsam besucht!«
    »Nein, habt ihr nicht. Ihr seid nach Weihnachten für drei Tage gekommen und am Neujahrstag zurückgeflogen.«
    »Er verbrachte den Weihnachtstag bei seiner Familie.«
    »Und du warst nicht eingeladen?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Mark stammte aus einer alten Bostoner Familie. Ich paßte da nicht hin. A propos passen: Hast du meine schwarze Samt jacke schon anprobiert?«
    »Nein, noch nicht. Müssen wir denn wirklich weg?«
    »Ich habe es dir doch erklärt, Lucy: Ich möchte einer jungen Frau, die ein Kind erwartet und nicht mehr zur Arbeit kommen wird, eine Kleinigkeit vorbeibringen. Und dann muß ich mich auf einer Party in der Nachbarschaft sehen lassen: Ich hab die Einladung angenommen, bevor ich wußte, daß du kommst. Aber wenn es dir lieber ist, kannst du natürlich auch zu Hause bleiben.«
    »Dann bleibe ich hier. Ich wünschte, ich könnte mit AFIS anfangen.«
    »Geduld, Geduld!« sagte ich, obwohl ich selbst alles andere als geduldig war.
    Am späten Nachmittag hinterließ ich bei der Vermittlung eine weitere Nachricht für Marino und kam zu dem Schluß, daß entweder sein Piepser nicht funktionierte oder er zu beschäftigt war, um sich ein Telefon zu suchen. Kerzen leuchteten in den Fenstern der benachbarten Häuser, und der Mond stand sichelschmal hoch über den Bäumen. Ich legte Pavarotti und die New Yorker Philharmoniker auf, doch es wollte sich keine Weihnachtsstimmung einstellen. Die Party würde nicht vor sieben beginnen, das gab mir genügend Zeit, bei Susan vorbeizuschauen und ein paar hoffentlich klärende Worte mit ihr zu sprechen. Überraschenderweise nahm si e den Hörer ab, als ich anrief, um zu fragen, ob ich vorbeikom m en dürfe.
    »Jason ist nicht da«, sagte sie, als sei das von Bedeutung. »Er ist einkaufen gefahren.«
    »Ich möchte Ihnen etwas vorbeibringen«, erklärte ich.
    »Was denn?«
    Warum klang sie so mißtrauisch?
    »Etwas Weihnachtliches. Ich werde Sie nicht lange aufhalten; ich muß zu einer Party. Ein paar Minuten werden Sie doch sicher Zeit haben.«
    »Ich denke, schon. Ich meine… das wäre nett.«
    Susan wohnte auf der Southside, wohin ich selten kam und wo ich mich entsprechend schlecht auskannte. Der Verkehr war noch schlimmer, als ich befürchtet hatte. Die Hauptgeschäftsstraße war verstopft von Last-minute-Einkäufern, die wild entschlossen waren, alle, die sie behinderten, notfalls von der Straße zu drängen. Die Läden und Einkaufszentren waren so grell beleuchtet, daß es blendete. Um so dunkler erschien mir Susans Wohngegend. Ich mußte zweimal anhalten und die Innenbeleuchtung einschalten, um im Stadtplan nachzusehen. Nachdem ich ein paarmal im Kreis gefahren war,

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