Phantom
Kamera, Handschuhe, alles da. Susan hatte einmal gesagt, wenn ein Mann sie verschleppen oder vergewaltigen wolle, müsse er sie vorher umbringen…
An einer ganzen Reihe von späten Nachmittagen hatten wir beide beim Saubermachen und Formularausfüllen auch private Gespräche geführt, über unsere Beziehungen zu Männern und wie es wäre, Mutter zu sein. Einmal kamen wir auf den Tod zu sprechen, und Susan sagte, daß sie sich davor ängstige.
»Ich meine nicht die Hölle mit Pech und Schwefel, wie mein Vater sie in seinen Predigten beschreibt; davor fürchte ich mich nicht. Ich fürchte mich davor, daß mit dem Sterben alles zu Ende ist.«
»Aber so ist es doch gar nicht.«
»Woher wissen Sie das?« hatte sie gefragt.
»Etwas fehlt, wenn jemand gestorben ist«, hatte ich erwidert. »Schauen Sie sich die Gesichter an, dann sehen Sie es! Ihre Energie hat sie verlassen. Der Geist ist nicht gestorben – nur der Körper.«
»Woher wissen Sie das?«
Marino nahm den Fuß vom Gas und bog in die Strawberry Street ein. Ich warf einen Blick in den Außenspiegel auf meiner Seite: Ein Streifenwagen folgte uns mit blinkender Lichtleiste. Wir kamen an mehreren Restaurants und einem kleinen Supermarkt vorbei. Alle geschlossen. Die wenigen Autos, die unterwegs waren, fuhren an den Straßenrand, um uns Platz zu machen. Auf der Höhe des Strawberry Street Café war die Straße von Polizeifahrzeugen gesäumt, und eine Ambulanz blockierte die Zufahrt zu einem Durchgang. Ein Stück weiter parkten zwei Fernsehübertragungswagen. Reporter tigerten ungeduldig an der gelben Absperrung entlang. Mari-no hielt an, und wir öffneten gleichzeitig unsere Türen. Sofort richteten sich die Kameras auf uns.
Ich folgte Marino dicht auf den Fersen. Linsenverschlüsse klickten, Kameras surrten, und Mikrofone wurden uns entgegengestreckt. Marino ging zielstrebig und mit großen Schritten seines Weges und beantwortete keine einzige Frage. Ich senkte abweisend den Kopf. Wir gingen um die Ambulanz herum und schlüpften unter der Absperrung hindurch. Susans alter burgunderroter Toyota stand zwischen hohen häßlichen Backsteinhäusern mit der Schnauze zu uns mitten im Durchgang. Trotz des schönen Wetters herrschte hier kalte Düsternis. Eiszapfen hingen an den Dachrinnen und rostigen Feuertreppen. Der Geruch von Abfall lag in der Luft.
Ich brauchte einen Moment, um den jungen, lateinamerikanisch aussehenden Officer zu erkennen, der gerade in sein Funkgerät sprach. Tom Lucero blickte auf, sah uns kommen und beendete das Gespräch.
»Der Wagen ist auf Jason Story zugelassen«, sagte er zu Marino, nachdem wir uns begrüßt hatten. »In der Handtasche steckte ein Führerschein. Er lautet auf Susan Story, weiß, achtundzwanzig.«
»Geld?«
»Elf Dollar und einige Kreditkarten. Ein Raubüberfall im üblichen Sinn ist wohl auszuschließen. Natürlich kann der Täter auch etwas gestohlen haben, das nicht in die allgemeine Kategorie Wertsachen einzuordnen ist. Irgendwelche Papiere, zum Beispiel. Erkennen Sie sie?«
Marino trat zum Wagen und beugte sich vor. Seine Kiefermuskeln spielten. »Ja, ich erkenne sie. Wurde der Wagen so gefunden?«
»Wir haben nur die Fahrertür geöffnet, ansonsten wurde nichts verändert.« Lucero steckte sein Funkgerät in die Tasche.
»Der Motor war aus, die Türen waren nicht verriegelt?«
»Richtig. Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, entdeckte Fritz den Wagen gegen fünfzehn Uhr bei einer Routinekontrolle und sah das Medical-Examiner-Schild an der Windschutzscheibe.« Er wandte sich an mich: »Sie hat ein winziges Loch in der rechten Schläfe. Exakte Arbeit.«
Marino betrachtete den harschigen Schnee zu seinen Füßen.
»Sieht nicht so aus, als würden wir viel Glück mit Schuhabdrücken haben.«
»Nein. Keine Chance.«
»Patronenhülsen?«
»Keine.«
»Weiß die Familie schon Bescheid?«
»Noch nicht – ich dachte, Sie würden das vielleicht lieber selbst übernehmen«, sagte Lucero.
»Ich möchte wissen, wie das Fernsehen Wind von der Sache bekommen konnte. Sagen Sie denen ja nicht, wer sie war und für wen sie arbeitete, bevor wir bei ihren Leuten waren. Die sollen nicht aus dem Fernsehen erfahren, was passiert ist.«
Er sah mich an. »Was wollen Sie hier unternehmen?«
Ich hatte mich bisher von dem Toyota ferngehalten, doch jetzt gab es keinen Aufschub mehr. Ich holte meine Kamera heraus. Mein Verstand arbeitete einwandfrei, aber ich konnte das Zittern nicht einstellen. »Geben Sie mir eine Minute,
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