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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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damit ich mir einen Eindruck verschaffen kann!«
    »Sind Ihre Jungs fertig?« fragte Marino den Officer.
    »Ja.«
    Susan trug ausgewaschene Jeans und abgetragene Schnürstiefel. Der schwarze Wollmantel war bis oben zugeknöpft Mein Herz zog sich zusammen, als ich das rote Seidentuch bemerkte, das aus dem Kragen herausleuchtete. Susan hatte eine Sonnenbrille auf und saß zurückgelehnt da, als habe sie es sich bequem gemacht und sei eingedöst Ich begann, Fotos zu machen, und als ich ihr näher kam, stieg mir schwach der Geruch eines Herrenparfüms in die Nase. Susan war nicht angeschnallt.
    Ich ließ sie auf eine Bahre legen und zur Ambulanz tragen. Dann kletterte ich zu ihr ins Innere und machte mich auf die Suche nach weiteren Schußwunden. Ich fand nur noch eine: im Nacken, direkt unter dem Haaransatz.
    Marino kam in die Ambulanz. »Haben Sie noch was entdeckt?«
    »Einen Einschuß im Nacken. Beide Kugeln sind nicht ausgetreten. Eine sitzt dicht unter der Haut über dem linken Schläfenbein.«
    Er schaute auf seine Uhr. »Die Dawsons wohnen nicht wei t von hier, in Glenburnie.«
    »Die Dawsons?« Ich streifte meine Arbeitshandschuhe ab.
    »Ihre Eltern. Ich muß schleunigst mit ihnen reden, um den Medien zuvorzukommen. Ich weiß nicht, ob Luceros Leute wirklich dichthalten. Ein Streifenwagen soll Sie nach Hause bringen.«
    »Nein, danke«, lehnte ich ab. »Ich komme mit. Ich fühle mich dazu verpflichtet.«
    Als wir losfuhren, flammte gerade die Straßenbeleuchtung auf. Marinos Gesicht war beängstigend rot. »Verdammt!« stieß er hervor und ließ eine Faust auf das Steuerrad herunterdonnern. »Gottverdammt! Eine Frau in den Kopf zu schießen! Eine Schwangere!«
    Ich schaute starr aus dem Seitenfenster. Gedanken und Erinnerungen wirbelten durch meinen Kopf. Ich räusperte mich. »Haben Sie ihren Mann erreichen können?«
    »Zu Hause war er nicht. Vielleicht ist er bei den Schwiegereltern. Mann, wie ich diesen Job hasse! Einfach so zu klingeln und das Leben dieser Leute zu zerstören!«
    Er bog in die Albemarle ein. Mülltonnen standen am Straßenrand, an denen Abfallsäcke lehnten, aus denen Weihnachtspapier und ähnliches quoll. Warmes Licht drang aus den Fenstern, in denen hier und da kleine mit bunten Lämpchen geschmückte Christbäume standen. Ein junger Vater zog seinen Sprößling auf einem schlingernden Schlitten den Bürgersteig entlang. Glenburnie war ein typisches Mittelstandsviertel. In den warmen Monaten saßen die Leute auf ihrer Veranda oder grillten im Garten, sie veranstalteten Parties und grüßten einander auf der Straße.
    Der bescheidene Altbau der Dawsons war im Tudor-Stil errichtet, die Bäume davor waren ordentlich beschnitten. Im ganzen Haus brannte Licht. Ein alter Kombi parkte davor. Auf unser Klingeln hin fragte eine Frauenstimme hinter der Tür: »Wer ist da?«
    »Mrs. Dawson?«
    »Ja?«
    »Hier ist Detective Marino vom Richmond Police Department. Ich muß mit Ihnen reden«, sagte er laut und hielt seine Marke vor den Spion.
    Schlösser wurden geöffnet. Mein Puls raste. Während meiner Tätigkeit an Kliniken hatte ich erlebt, daß Patienten mich vor Schmerzen schreiend anflehten, sie nicht sterben zu lassen. Ich hatte sie belogen – »Es wird Ihnen bald besser gehen« –, bis sie, meine Hände umklammernd, den letzten Atemzug taten. Ich hatte »Es tut mir leid« zu den Angehörigen gesagt, denen ich in kleinen trostlosen Zimmern gegenübertreten mußte, in denen sogar Geistliche sich verlore n fühlten. Aber ich hatte noch niemandem am Weihnachtsta g eine Todesnachricht überbracht.
    Die einzige Ähnlichkeit, die ich zwischen Mrs. Dawson und Susan feststellen konnte, war das energische Kinn. Die Mutter hatte scharfe Züge und kurzes weißes Haar. Sie wog höchstens neunzig Pfund und erinnerte mich an einen verängstigten Vogel. Als Marino mich vorstellte, weiteten sich ihre Augen vor Schreck.
    »Was ist passiert?« fragte sie erstickt.
    »Ich habe eine traurige Nachricht für Sie, Mrs. Dawson«, sagte Marino. »Es geht um Ihre Tochter Susan: Sie ist ermordet worden.«
    Aus einem der Zimmer neben dem Flur hörte man Kinderfüße trappeln, und gleich darauf erschien ein kleines Mädchen in der Tür zu unserer Rechten. Sie blieb stehen und musterte uns mit großen blauen Augen.
    »Hailey, wo ist Grandpa?« Mrs. Dawsons Stimme zitterte, ihr Gesicht war aschfahl geworden.
    »Oben.« Hailey trug Jeans und offensichtlich neue Turnschuhe – sicher ein Weihnachtsgeschenk. Ihr blondes Haar

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