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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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in ihrer Kristallkugel seine Zukunft sehen, und schrieb ihr. Vor allem wollte er wissen, ob er auf dem elektrischen Stuhl sterben würde. Das ist nichts Ungewöhnliches: Viele Todeskandidaten wenden sich an Hellseher oder Kartenleger. Ungewöhnlich war nur, daß sich zwischen Ronnie und ihr ein reger Briefwechsel entwickelte, der bis wenige Monate vor seinem Tod andauerte. Dann hörte er plötzlich nichts mehr von ihr.«
    »Halten Sie es für möglich, daß ihre Briefe abgefangen wurden?«
    »Das steht außer Frage: Bei unserem Telefongespräch sagte Miss Deighton, daß sie weiter an Ronnie geschrieben, jedoch seit Monaten keine Antwort von ihm erhalten habe. Ich bin sicher, daß seine Briefe ebenfalls kassiert wurden.«
    »Warum haben Sie sich eigentlich erst nach seiner Hinrichtung an sie gewandt?« erkundigte ich mich.
    »Ronnie erzählte mir erst bei unserer letzten Unterredung von ihr. Dieses Gespräch war übrigens höchst merkwürdig.«
    Grueman schob den Rest seines Sandwiches weg und griff nach seiner Pfeife. »Ronnie hat mir gewissermaßen das Mandat entzogen.«
    Ich starrte ihn ungläubig an.
    »Das war eine Woche bevor er von Mecklenburg nach Richmond überstellt wurde. Er sagte, er wisse, daß nichts, was ich täte, ihn vor der Hinrichtung bewahren könne, es sei von Anfang an klar gewesen, und er habe die Unvermeidlichkeit seines Todes akzeptiert, ja, er freue sich sogar aufs Sterben. Und dann bat er mich, meine Bemühungen einzustellen und ihn nicht mehr anzurufen oder zu besuchen.«
    »Aber er hat Sie nicht wirklich gefeuert.«
    Grueman zog an seiner Bruyérepfeife und blies eine Rauchwolke in die Luft. »Nein, nicht offiziell.«
    »Dieses Verhalten hätte doch zu einer Aussetzung der Hinrichtung wegen Feststellung der Zurechnungsfähigkeit füh r en müssen«, meinte ich.
    »Ich habe es versucht, doch das Gericht lehnte es mit der Begründung ab, daß Ronnie nicht darum gebeten habe, hingerichtet zu werden, sonders lediglich geäußert habe, er freue sich auf den Tod.«
    »Und was war mit Jennifer Deighton?« hakte ich nach.
    »Im Laufe unseres besagten letzten Gesprächs äußerte Ronnie drei Bitten. Als erstes sollte ich mich darum kümmern, daß die ›Gedanken‹, die er niedergeschrieben hatte, am Tage seiner Hinrichtung in der Zeitung erschienen. Er schickte sie mir, und ich arrangierte die Veröffentlichung im ›Richmond Times-Dispatch‹.«
    »Ich habe sie gelesen.«
    »Der zweite Wunsch lautete – ich zitiere: ›Sorgen Sie dafür, daß meiner Freundin nichts passiert!‹ Ich fragte ihn, um welche Freundin es sich handele, und er sagte – ich zitiere wieder: ›Kümmern Sie sich um sie! Sie hat niemals jemandem was getan.‹ Er gab mir ihren Namen und ihre Adresse und bat mich, erst nach seinem Tod mit ihr Kontakt aufzunehmen. Dann sollte ich ihr sagen, wieviel sie ihm bedeutet habe. Nun, ich hielt mich nicht an seine Direktive, sondern versuchte sofort, sie zu erreichen, weil ich hoffte, sie könne mir etwas sagen, das die Hinrichtung doch noch abwenden würde.«
    »Und, haben Sie sie erreicht?« Ich erinnerte mich, daß Mari-no mir erzählt hatte, Jennifer Deighton sei um Thanksgiving herum zwei Wochen in Florida gewesen.
    »Ich versuchte es immer wieder, doch es nahm nie jemand ab. Erst am Tag nach seinem Tod hatte ich Glück.«
    »Haben Sie eine Nachricht auf Ihrem Anrufbeantworter hinterlassen?«
    »Der war nicht eingeschaltet – was rückblickend durchaus einleuchtend war: Ihre Kunden brauchten aktuelle Informationen, und wenn sie auf das Band die Mitteilung gesprochen hätte, daß sie für zwei Wochen verreist sei, wäre das außerdem einer Einladung für Einbrecher gleichgekommen.«
    »Und was erfuhren Sie, als Sie sie endlich erreichten?«
    »Daß sie und Waddell seit acht Jahren korrespondierten und einander liebten. Sie sagte, die Wahrheit werde niemals ans Licht kommen. Ich fragte sie, was sie damit meine, doch sie war nicht bereit, es mir zu sagen, und brach das Gespräch ab. Ich schrieb ihr einen Brief, in dem ich sie geradezu anflehte, sich bei mir zu melden.«
    »Wann?« fragte ich.
    »Gleich nach dem Telefonat – am 14. Dezember.«
    »Und, hat sie sich gemeldet?«
    »Hat sie – per Fax. Die Nummer steht auf meinem Briefpapier. Ich habe eine Kopie von ihrer Antwort hier.« Es dauerte eine Weile, bis er in dem Wust auf seinem Schreibtisch den gesuchten Ordner fand. Er schlug ihn auf, nahm ein Blatt heraus und reichte es mir. Ich las den bekannten Text: »Ja, ich werde

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