Phantom
stromlinienförmiger die Häkchen und je körperferner deren Position, um so wirkungsvoller können die Daunen ihre Aufgabe erfüllen, und das Luftpolster hält die Tiere warm.«
Er legte einen weiteren Objektträger unter das linke Objektiv, und ich sah, daß wir der Lösung ganz nahe waren: Die Strahlen waren filigran, die Häkchen liefen spitz zu und waren körperfern plaziert. »Was für ein Tier ist das?« erkundigte ich mich.
»Die Hauptverdächtigen habe ich bis zum Schluß aufgehoben: Meerestauchenten – und allen voran die Gattung der Eiderenten. Vergrößern wir die Feder mal auf das Vierhundertfache.« Er wechselte das Objektiv, stellte die Schärfe neu ein und probierte weitere Objektträger durch. »Die Prachteiderente ist es nicht, und auch nicht die Plüschkopfente, und ich glaube auch nicht, daß es die Scheckente ist – wegen der bräunlichen Pigmentierung an der Häkchenbasis. Ihre Feder hat die nicht – sehen Sie?«
»Ja.«
»Also versuchen wir es mit der gemeinen Eiderente. Okay. Die Pigmentierung stimmt überein.« Er schaute angespannt auf den Monitor. »Weiter: An den Strahlen sitzen nur wenige Häkchen – körperfern. Dann haben wir die Stromlinienform für optimale Isolierung – und die ist wichtig, wenn man auf dem Eismeer herumschwimmt. Ich glaube, dies ist die Somateria mollissima, beheimatet in Island und Norwegen, in Alaska und an der sibirischen Küste. Ich mache zur Sicherheit noch eine Überprüfung mit dem ESM«, fügte er hinzu, womit er das elektronische Scannermikroskop meinte.
»Was suchen Sie noch?«
»Salzkristalle.«
»Natürlich, weil Eiderenten Meeresvögel sind.«
»Genau. Ihre Brutkolonien werden geschützt, denn die Daunen, mit denen die Weibchen ihre Nester auspolstern und die Eier zudecken, sind sehr wertvoll. Sie dienen hauptsächlich zur Füllung von Daunendecken und Schlafsäcken.« Während er sprach, legte er mehrere Strahlen der Feder aus Susans Wagen unter das Mikroskop.
»Jennifer Deighton hatte nichts im Haus, was mit Federn gefüllt war«, sagte ich.
»Demnach hat der Mörder die Daune mitgebracht. Schauen Sie her!«
Ich verglich die beiden Vergrößerungen auf dem Monitor. »Wieder eine Eiderente?«
»Ich glaube, ja.« Er holte einen neuen Objektträger. »Sehen wir uns an, was Sie von dem Jungen mitgebracht haben.«
»Es sind Kleberreste von seinen Handgelenken«, erklärte ich.
»Donnerwetter!« stieß er hervor, als eine Vielfalt von Farben, Formen und Fasern auf dem Bildschirm erschien – und die mir nun schon vertrauten dreieckigen Häkchen an den Strahlen.
»Nun, das reißt ein Loch in meine Theorie«, gestand Dauney. »Zumindest, wenn die drei Morde zu verschiedenen Zeitpunkten an verschiedenen Orten stattfanden.«
»Das taten sie.«
»Wenn nur eine dieser drei Federproben von einer Eiderdaune stammte, könnte es sein, daß es sich um eine Mischfüllung handelte oder daß sich bei der Füllung einer Decke oder Jacke Eiderdaunen eingeschlichen haben. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, daß der betreffende Gegenstand nur die Eiderdaunen verliert. Also kann man davon ausgehen, daß es sich um eine reine Eiderdaunenfüllung handelt – und dann ist das gute Stück ein Wertgegenstand.«
»Haben Sie schon einmal Eiderdaunen als Beweisstücke auf den Tisch bekommen?« fragte ich ihn.
»Nein.«
»Weshalb sind sie eigentlich so wertvoll?«
»Wegen ihrer Isolierfähigkeit, die ich Ihnen schon erklärt habe, und weil es nicht viele gibt und das Einsammeln mühsam ist. Außerdem spielt auch der ästhetische Aspekt eine Rolle: Im Gegensatz zu anderen sind Eiderdaunen schneeweiß.«
»Haben Sie die einschlägigen Fabriken im Computer?«
»Das schon, aber ich kann Ihnen gleich sagen, daß kein Bettenhersteller beurteilen kann, ob diese Eiderdaune aus seiner Fabrik stammt. Unglücklicherweise reicht dazu eine Feder nicht aus.«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Vielleicht doch.«
Es war Mittagszeit, als ich zu meinem Wagen ging. Die New Jersey Avenue, in der Nicholas Grueman seine Kanzlei hatte, lag ganz in der Nähe. Ich glitt hinters Steuer und streckte die Hand nach dem Telefon aus. Nein, dachte ich, was soll das bringen? Außerdem ist er sicher gar nicht da. Ich nahm den Hörer ab und wählte seine Nummer.
»Grueman.«
»Hier ist Dr. Scarpetta.«
»Guten Tag. Ich habe gestern etwas über Sie in der Zeitung gelesen. Es klingt, als riefen Sie aus dem Auto an.«
»So ist es auch. Ich bin in Washington.«
»Es schmeichelt mir,
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