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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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und die Wasserlöcher, aus denen erst die Kamele und dann ihre Reiter trinken. Oh, Dora hat ein-, zweimal den großen Zeh in den Wüstensand gesteckt und den heiligen John begleitet, als er einen Teil der Luft aus den Reifen seines Ford-Kombis ließ, um über die Sandpisten auf den Horizont, der immer unerreichbar bleibt, zuzufahren. Dafür sind Horizonte da, oder? Die Leute zu O-O-Orten zu locken, die sie nie erreichen können, und sie mit dieser Unerreichbarkeit zu quälen. Ah, mein heiliger Vater und seine Fehler. Wer von uns hat keine? Aber er wusste die Schönheit in all ihren E-E-Erscheinungsformen zu schätzen. Sonnenuntergänge über der Wüste, den Himmel verdunkelnde Sandstürme, verschleierte Frauen mit geheimnisvollen Augen, handgewebte Seide, die sich an den weiblichen Körper schmiegt und so Fantasien weckt, B-B-Beduinenkrieger, die auf ihren Kamelen der nächsten Oase entgegengaloppieren. Einmal hat der heilige John einen zur nächsten Oase reitenden Beduinen getroffen, der niemand anderes als der Wahhabiten-Herrscher des Nadschd mitten in Arabien war, Abd al-Aziz ibn Saud. Ich habe den K-K-Kerl auch kennengelernt: ein eins achtzig großer Mann, der Besuch mit fürstlicher Gastfreundschaft empfängt. So in der Art von ›Mein Zelt ist dein Zelt‹, nur wenn
er
es sagt, meint er es auch so. Der heilige John hat mir mal erklärt, ibn Saud sei der größte Araber seit dem Propheten Mohammed. Spricht nicht für die anderen Araber, aber was soll’s. Als die Türken aus Bagdad vertrieben wurden, überredete Vater das Außenministerium, seinen F-F-Freund auf den Thron eines erfundenen Staatsgebildes namens Saudi-Arabien zu setzen, woraufhin der ihm so verdammt dankbar war, dass er ihm eine arabische Frau geschenkt hat, die mir sicher schon bald Halbschwestern und Halbbrüder bescheren wird. Da mein Vater zum Islam konvertiert ist, kann er ganz legal noch zwei weitere Frauen heiraten. Warum auch nicht? Vier scheint mir eine vernünftige Zahl. Und während mein heiliger Vater durch den Nahen Osten karriolt und die sich ihm immer wieder entziehenden Horizonte zu erreichen versucht, sitzt meine Mutter in ihrem goldenen Käfig in London und pflegt, Gott sei’s gedankt, die Teerosen.«
    »Bist du deswegen in Wien, Kim? Weil du einen Horizont erreichen willst, dem dein Vater nicht hinterhergejagt ist?«
    Während er darüber nachbrütete, sagte ich: »Nun, ich verstehe unsere Beziehung nicht als Käfig, ob nun golden oder nicht, und ich habe ganz sicher kein gespaltenes Verhältnis zu deinen Erektionen. Meinetwegen kannst du so lange in Sonjas Ausschnitt stieren, bis du Genickstarre kriegst.«
     
    Jeder Tag brachte neue Gerüchte. Ein Freund von Dietrich, der an einer Zollstelle an der Grenze arbeitete, meinte, Hitlers Sturmtruppen hätten bereits die bayrischen Alpen überquert und marschierten auf Linz zu (was nicht stimmte), eine Frau, die Dollfuß’ Koch mit Eiern belieferte, hatte gehört, der Kanzler baue darauf, dass Mussolini die deutsche Annexion Österreichs verhindern werde (was stimmte), und mein sowjetischer Führungsoffizier wusste aus absolut sicherer Quelle, die sozialistische Arbeitermiliz sei in aller Stille mobilisiert worden, um Dollfuß zu entmachten und eine Sozialistische Republik Österreich zu gründen (was nicht stimmte). »Halten Sie die Ohren offen«, instruierte mich Arnold, »und informieren Sie mich, sobald sie etwas hören.«
    Aber alles, was ich hörte, war das leise Rieseln des Schnees, der den Verkehrslärm unter meinem Fenster verstummen ließ. Wenn man sich intensiv genug auf die durchs gelbe Licht der neuen elektrischen Laternen fallenden Flocken konzentrierte, hatte man das Gefühl, durch den Schnee hindurch in den Nachthimmel aufzusteigen. Eines Februarabends dann hörte das Leitungswasser in den Gläsern auf zu zittern. Kim und ich sahen uns an. (Als wir später darüber sprachen, stellten wir fest, dass wir spontan beide das Gleiche gedacht hatten: Dass die Erde womöglich aufgehört hatte, sich um ihre Achse zu drehen.) Und kaum, dass uns die ungewohnte Ruhe des Wassers aufgefallen war, gingen die Lichter in der Wohnung aus und mit ihnen das Radio, und der Foreign Service der BBC verstummte. Kim tappte ans Fenster und sah auf die Straße hinunter. »Da d-d-draußen gibt es auch keinen Strom mehr«, sagte er leise. »Selbst die Laternen sind aus.«
    »Was meinst du, was das bedeutet?«
    »Das bedeutet, dass die G-G-Generatoren keinen Strom mehr produzieren.«
    Ich sollte

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