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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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uns retten.«
    Ich hörte eine Stimme, die ich als meine erkannte: »Warum?«
    »Um gegen den Faschismus zu kämpfen.«
    Ich habe die vage Erinnerung, über die Brüstung auf andere Dächer geschoben zu werden. Weiße Laken flatterten an den Schornsteinen, aber die Verbrecher der Heimwehr machten keine Gefangenen, und ihre Haubitzen zerschossen die Parterrewohnungen hinter uns, um die Wohnblöcke zum Einsturz zu bringen. Ich erinnere mich an Wendeltreppen, an klamme Tunnel mit großen rostigen Abwasserrohren und Luftkanälen, die so schmal waren, dass wir uns seitwärts durch sie schieben mussten. Ich erinnere mich an Keller voller Ärzte, die versuchten, den Blutfluss verwundeter Männer zu stoppen, während Frauen schluchzende Kinder beruhigten. Kim entdeckte einen englischen Bekannten, eine Art Künstler, ich glaube, sein Name war Spender, wir hatten einmal auf der Terrasse des Herrenhof etwas zusammen getrunken. Wie betäubt trieb Spender durch einen Keller voller verzweifelter Menschen. Kim versuchte, ihn aus seiner Benommenheit zu reißen, aber Spender machte sich von ihm los und rief: »Sie weinen um ihre Häuser, die über ihren Köpfen einstürzen.«
    »Sunt lacrimae rerum«,
murmelte Kim. »Sie weinen wegen der Geschehnisse, nicht wegen der Dinge.«
    Nach einer Ewigkeit entließen uns die Keller und Gänge in eine eisige Nachtluft hinein, unter einen Himmel gespickt mit Sternen und in Gassen voller Schuhe, in denen hier und da noch ein Fuß oder Bein steckte, in Straßen, die nach Schießpulver rochen und die auf Straßensperren zuliefen, hinter denen nervöse Soldaten standen und ihre Gewehre und Taschenlampen auf uns richteten, während mein Engländer verzweifelt mit seinem Pass wedelte: Ein britischer Staatsbürger und seine Freundin, die in den Krieg geraten sind. Lasst sie um Himmels willen durch.
    Meine Wohnung. Das dumpfe, aber nicht unangenehme Donnern der Artilleriegranaten, die auf der anderen Seite der Stadt explodierten. Es erinnerte mich an den trockenen Donner über dem Land meines Großvaters, der keinen Regen brachte. Mein Engländer starrte aus dem Fenster zu den niedrig hängenden Wolken am Horizont hinüber, die von den außer Kontrolle geratenen Feuern unter ihnen blutrot eingefärbt wurden. Er trank Schnaps, direkt aus der Flasche, bis er sich unversehens umdrehte und mir völlig unvermittelt erzählte, dass er einmal von einem Schulkameraden
ge
-
b-b-buggered
worden sei.
    Was hatte das mit den ausrastenden Verbrechern in den Wohnblöcken auf der anderen Seite der Stadt zu tun?
    Alles.
     
    Kim verbot mir, die Wohnung zu verlassen. Die Straßen wimmelten nur so vor Heimwehr-Patrouillen, die Sozialisten und Kommunisten jagten. Er selbst ging zweimal, manchmal dreimal am Tag hinaus. Ich konnte vom Fenster aus sehen, wie er sich über den Lenker seines Motorrads beugte und seinen britischen Pass vor sich hielt, um an Straßensperren und Patrouillen vorbeizukommen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, alte, aber noch taugliche Mäntel, Anzüge und Krawatten des Journalisten Gedye, des Künstlers Spender und ihrer englischen Freunde zu sammeln und zu den Genossen vom Schutzbund zu schmuggeln, die in Kellern und Kanalisation gefangen saßen, viele von ihnen verwundet. Deren einzige Hoffnung zu entkommen, bestand darin, als Zivilisten durchzugehen, die zwischen die Fronten geraten waren. Dafür brauchten sie Kleider, die nicht nach Kampf aussahen und die nicht blutgetränkt waren.
    Nach dem dreitägigen Bürgerkrieg kamen die Genossen, einige von ihnen mit eiternden Schrapnellwunden, alle völlig erschöpft, zu mir in die Wohnung. Einige blieben gerade lange genug, um ihre Wunden mit Alkohol zu desinfizieren, andere, die nicht wussten, wohin, kampierten bei mir. Der ungarische Professor und drei Studenten schliefen im Gästezimmer, zwei im Bett, zwei auf dem Teppich, den wir zu einer Matratze zusammengefaltet hatten. Drei junge Kommunisten, die durch die Kanalisation entkommen waren, nächtigten im Wohnzimmer. Kim und ich teilten mit den Flüchtigen, was wir an Essen hatten, scharten uns mit ihnen um das Kurzwellenradio und versuchten, durch das Rauschen die Nachrichten der BBC zu verstehen. Ich übersetzte für die Genossen das, was wir verstanden, ins Deutsche. Laut BBC waren bei der Niederschlagung eines kommunistischen Aufstands in Wien tausendfünfhundert Menschen getötet und weitere fünftausend verwundet worden. (Ein kommunistischer Aufstand!) Bei einer offenbar sorgfältig geplanten

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