Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
Operation wurden sozialistische und kommunistische Führer aufgespürt und verhaftet. Wer der Verhaftung zu entgehen vermochte, floh ins Ausland. Die Parteizentralen der Opposition waren geschlossen, die Bewegung zerschlagen, die Milizen lösten sich auf. Der Korrespondent der BBC berichtete, er habe Frauen verzweifelt die Gärten beim Engelhof umgraben sehen, nachdem das Gerücht aufgekommen war, dort lägen Waffen versteckt. Die Arbeiter-Wohnblocks, die lange als uneinnehmbare Festungen der Sozialisten gegolten hätten, seien von der Armee und der Heimwehr der Regierung eingenommen, Arbeiterheime und Ferienlager in der gesamten Republik Österreich von der Polizei geschlossen worden. In Wien herrsche Angst und Schrecken. Zivilisten, die sich mit Gewehren oder Pistolen erwischen ließen, würden kurzerhand erschossen.
    Wir lebten unter einer Art Glasglocke. Kim saß neben meinem Grammofon, den Kopf in den Händen, und lauschte den verkratzten Platten mit den Beethoven-Sonaten, deren Opus-Nummern er zum Entsetzen des Professors alle auswendig kannte. Uns gingen die Kohlen aus, und so begannen wir, die Möbel Stück für Stück im Herd zu verfeuern. Erst kamen die Beine und Rückenlehnen der Stühle dran. Wir verbrannten die Vorhangstangen, die Schubladen der Kommoden und dann die Kommoden, sogar die hölzernen Löffel. Wir verbrannten die Rahmen der Gemälde meines Großvaters. Die Gemälde selbst hatte ich aufgerollt und versetzt, um Geld für die deutschen Flüchtlinge zu sammeln, die nach dem Reichstagsbrand nach Wien geströmt waren. Wir verbrannten auch die Rahmen der zwei kleinen Kohlezeichnungen, die ich in Paris gekauft hatte und ebenfalls versetzt hätte; aber da sie von einem gewissen Modigliani signiert waren, von dem der Pfandleiher noch nie gehört hatte, waren sie ohne Wert für ihn.
    Sonja klopfte eines Abends spät noch an die Tür, das Gesicht schmutzig, die Lider geschwollen von all den ungeweinten Tränen. Wegen der Kälte behielt sie den Mantel an, sodass die Jungs nicht sehen konnten, ob sie ihre tief ausgeschnittene Bluse noch trug. Schade. Vielleicht wäre ihnen etwas wärmer geworden. Als ich ihr erzählte, wie Kim und ich den Angriff oben vom Dach verfolgt hatten, sagte sie, der Genosse, den ich die Dose Benzin hätte werfen sehen, sei entgegen meiner Annahme nicht Dietrich gewesen. Der arme Dietrich, sagte sie, sei zusammen mit dem jungen Sergius, der nicht aufhören wollte, seine Henker zu verhöhnen, aus einem Kohlenkeller gezerrt und in einen Park gebracht worden, wo man sie vor einem frisch ausgehobenen Graben erschossen habe. Das Erschießungskommando habe aus lauter Faschistenfrauen bestanden. Als ich sie fragte, woher sie das wisse, verzog sie das Gesicht zu einem bizarren Lächeln und sagte: »Dietrich ist mir im Traum erschienen und hat es mir erzählt.«
    Einige Tage nach den Februarereignissen erschien mir Kim nachts im Traum, wenigstens glaubte ich das, doch dann fühlte ich seinen Atem in meinem Haar. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, spürte aber die Anspannung in seinem Körper. Immer noch war sporadisches Gewehrfeuer zu hören, und ich nahm an, er würde sagen, dass er nicht schlafen könne wegen der Schießerei.
    »Wir müssen weg«, war das, was er tatsächlich sagte.
    »Weg aus der Wohnung?«
    »Weg aus der Wohnung, weg aus Wien, weg aus Österreich.«
    »Du kommst mit deinem britischen Pass über die Grenze, ich aber nicht.«
    »Wir besorgen dir auch einen britischen Pass.«
    »Wie?«
    »Die Frauen von b-b-britischen Staatsbürgern bekommen britische Pässe. Ich war am Nachmittag in der Botschaft, um mich zu vergewissern.«
    »Wir sind nicht verheiratet.«
    »Die Dinge beruhigen sich in Wien. Läden und Büros machen wieder auf. Auch das R-R-Rathaus.
Dort
war ich, nachdem ich in der Botschaft war, und habe mit dem Standesbeamten gesprochen. Ich habe ihm fünf Pfund zugesteckt und gesagt, er bekommt noch mal fünf, wenn er uns traut. Er meint, das geht in d-d-drei Minuten, dazu muss nur ein Stück P-P-Papier gestempelt und unterschrieben werden. Wir könnten direkt um acht, wenn sie aufmachen, da sein. Dann sind wir um halb neun in der Botschaft. Mit der gestempelten und unterschriebenen Heiratsurkunde b-b-bekommst du einen britischen Pass, und um neun sind wir unterwegs nach Italien.«
    Als ich nicht sofort darauf antwortete, sagte er: »Also, da hat gerade jemand vorgeschlagen, d-d-dich zu heiraten. Du könntest zumindest den Anstand haben, zu reagieren.«
    »Was ist

Weitere Kostenlose Bücher