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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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dass den Nachrichtendienstlern in Anbetracht des ein Jahr zuvor geschlossenen Nichtangriffspaktes zwischen den Sowjets und Nazi-Deutschland meine Verbindung mit einer österreichischen Kommunistin missfiel. Wahrscheinlich spukte ihnen der Gedanke im Kopf herum, dass ich mit den roten Teufeln kollaborierte. Drei Wochen musste ich die Füße im örtlichen Hôtel du Commerce still halten, während ich auf meine Akkreditierung wartete – kein unangenehmes Zwischenspiel, wie ich zugeben muss, war die Bar doch bestens mit Mr John Walkers Scotch Whisky ausgestattet, um die ranghöheren Offiziere zu versorgen, die im Hotel einquartiert worden waren. Als ich endlich das erforderliche rosa Papier in Händen hielt, auf dem stand: »Sondereinsatz zum Zwecke des Journalismus, vom Generalstab bewilligt«, hatten Großbritannien und Frankreich gemäß ihrer vertraglichen Verpflichtungen nach Hitlers Einmarsch in Polen Deutschland den Krieg erklärt. Daraufhin gelang es mir zwar, die Erlaubnis für einen Presseausflug über die Rübenfelder Flanderns zu bekommen, wo ich nach dem Krieg, den England erklärt hatte, suchen wollte. Ich fand ihn jedoch nicht, und das aus einem einfachen Grund: Es gab ihn nicht. Die amerikanischen Schlagzeilenschreiber gewöhnten sich an, die acht Monate zwischen unserer Kriegserklärung und dem Blitzkrieg, mit dem die Deutschen Belgien und Frankreich inzwischen überrannt haben, den
phony war
zu nennen, den »vorgetäuschten, falschen Krieg«. Die Deutschen übersetzten das in einem untypischen Anflug von Humor mit »Sitzkrieg«. Die Franzosen, beeindruckt von der Absurdität des Ganzen, tauften die Zeit
la drôle de guerre,
und die Piloten der Royal Air Force, die täglich neue Propagandaflugblätter über den Deutschen abwarfen, sprachen vom »Konfettikrieg«.
    Wie immer sie genannt wurde, es war eine bizarre Zeit. Einhundertzehn britische und französische Divisionen gruben sich entlang der belgischen und französischen Grenzen ein, saßen auf ihren Hintern und starrten über das Niemandsland zu dreiundzwanzig deutschen Divisionen hinüber (das Gros der deutschen Streitkräfte, hieß es, sei im Osten beschäftigt). Es fiel kein einziger Schuss.
    Es dauerte zweieinhalb Monate, während deren ich täglich eine Anfrage an das Pressebüro zwei Stockwerke unter meinem Zimmer richtete, bis ein gelber Schein in meinen Briefkasten flatterte, der mich dazu ermächtigte, mit einer Gruppe weiterer Journalisten die Festungen der schon legendären Maginot-Linie zu besuchen, mit deren Hilfe die Franzosen die Hunnen abwehren wollten, falls sie denn je angriffen. Am nächsten Morgen um vier stiegen wir in den Zug nach Metz und landeten in einem Dritte-Klasse-Waggon voller französischer Rekruten in kakifarbenen Uniformjacken, die aus dem Urlaub zurückkamen. Bill Shirer vom CBS ergatterte ein Interview mit ihrem befehlshabenden Offizier, einem bärtigen Kerl, der einen Bambusstock unter seinem einzigen Arm trug (der andere war ihm im ersten Großen Krieg weggeschossen worden) und damit angab, seine Männer würden mit den Hunnen kurzen Prozess machen, sobald sie die Front erreichten. Als die untergebenen Offiziere das hörten, applaudierten sie, und die gemeinen Soldaten fuhren fort, Orangen zu schälen (in einem geschlossenen Zugabteil sorgt dieser Geruch immer für ein flaues Gefühl in meinem Magen) und unzüchtige Lieder zu singen. Am Bahnhof von Metz wurden wir den dort auf uns wartenden französischen Presseoffizieren übergeben, die uns wie eine Schulklasse auf einem Tagesausflug in eine Kavalkade vorderradgetriebener Limousinen von Monsieur Citroën verfrachteten. Die Autos waren mit braunen und olivgrünen Tarnstreifen bemalt, als würde sie das für die Piloten der altehrwürdigen, ebenfalls mit braunen und olivgrünen Tarnstreifen lackierten Fokker-Doppeldecker unsichtbar machen, die über den Brücken der Mosel patrouillierten.
    Auf der anderen Flussseite durchfuhren die Citroëns bis zum Horizont reichende Weinberge. Irgendwann hielten wir am Rand einer Wiese, auf der drei Beobachtungsballons an schräg in den Boden getriebenen Pfählen festgemacht waren. In einer Feldmesse in einem Zelt (das, ach, ebenfalls mit Tarnstreifen bemalt war, was unseren Zivilistenhunger etwas schmälerte) hatte ein Unteroffizier mit einer jener lächerlichen französischen Kochmützen Rillettes-Sandwiches angerichtet. Dazu gab es gekühlte Maibowle aus örtlichem Wein, mit Waldmeister und Ananas. (Einige Teilnehmer unseres

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