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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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kleinen Pressefestes dachten laut darüber nach, ob sie nicht zu den
Frogs
überlaufen sollten.) Mithilfe meines Pidgin-Französisch gelang es mir, mit einem Ballonfahrer ins Gespräch zu kommen, der noch kurz vorher hoch oben in der Luft geschwebt hatte. Er war ein angenehmer Bursche, der Sixte Soundso hieß. Er hatte kürzlich erst seine Ausbildung an der französischen Militärakademie Saint Cyr beendet und schien noch zu jung, um sich rasieren zu müssen. Ich fragte ihn, ob er von seinem Beobachtungsballon aus Zeichen von Leben jenseits der deutschen Siegfried-Linie habe entdecken können. Der Junge studierte das Wort KRIEGSREPORTER vorn auf meinem Infanteriehelm mit ratloser Miene und gab zu, das Einzige von militärischer Bedeutung sei ein Beobachtungsballon der Hunnen gewesen. Stellen Sie sich das vor, Mr Deakin: Der Krieg war bereits – wie viele? – fast vier Monate alt, und die beiden Ballonfahrer waren vielleicht die Einzigen links und rechts der Front, die einen Blick auf den Feind hatten erhaschen können. Wenn ich an diese eindeutig dem
drôle de guerre
zuzurechnende Episode zurückdenke, kommt mir die Komplizenschaft der beiden Ballonfahrer in den Sinn, die da rund zehn Meilen voneinander entfernt am Himmel hingen, der Deutsche aller Wahrscheinlichkeit nach so jung wie sein französisches Gegenüber (nur junge Männer, die sich der Gefahren eines Krieges nicht bewusst sind, steigen freiwillig in Beobachtungsballons), und mit Taschenspiegeln Sonnenstrahlen hin- und hersandten, bis sie bei Einbruch der Nacht von ihren Bodenmannschaften wie aufgedunsene Schweine an langen Leinen zurück auf die Erde geholt wurden.
    Ich will Sie nicht mit einer genauen Beschreibung der von uns besuchten Maginot-Befestigungen langweilen. Sie werden sie schon Dutzende Male in den Pathé-Wochenschauen gesehen haben. Es soll genügen zu sagen, dass auch all die Blumenbeete und Gemüsegärten auf französischer Seite sie nicht weniger bedrückend machen. Die Truppen in den Unterständen, die bereits seit vier Monaten unter der Erde lebten, hatten die Gesichter von Bergleuten. Die Pupillen ihrer Augen waren nur mehr stecknadelkopfgroß, ihre Haut durch den Sonnenmangel totenblass. Alles auch nur irgendwie Wichtige in den Befestigungen fand unter der Erde statt: Die Männer aßen, schliefen, hurten (es gab Rotkreuzschwestern, die in die Krankenstation der Anlagen entsandt worden waren) und defäkierten dort unten, sogar Filme sahen sie (in einem Saal für hundert Leute). Sämtliche Einrichtungen befanden sich unterirdisch, die Bunker mit schmalen Gräben verbunden, Stufen in Stein gemeißelt, alle paar Meter von einer nackten Glühbirne erleuchtet. Wenn ich es mir recht überlege, muss so auch das Leben in einem Unterseeboot sein: Der Großteil der Besatzung lebt im künstlichen Licht des Rumpfes, und ein paar wenige Glückliche dürfen in den Turm klettern und aufs Meer hinaussehen. Die Glücklichen hier saßen im riesigen Beobachtungsturm der Anlage und linsten durch Periskope auf das, was von dem mit Sandsäcken befestigten Grabensystem des Feindes zu sehen war. Falls es tatsächlich Deutsche in den Befestigungen jenseits des fußballfeldgroßen Niemandslandes gab, habe ich sie nicht entdecken können, als ich an eines der Periskope durfte.
    Schon saßen wir wieder in unseren Citroëns und wurden über Buckelpisten zu einer riesigen Lagerstätte etliche Meilen hinter der Front gekarrt. Unsere französischen Aufpasser versuchten, uns zu überzeugen, dass es den uneinnehmbaren Befestigungen des Kriegsministers Maginot niemals an Nachschub fehlen würde. Wir gingen durch endlose Gänge und zwischen riesigen Granatenstapeln hindurch, kamen an Krankenbetten und Holzkisten voller Gewehr- und Maschinengewehr-Munition vorbei, an Kartons mit Konservendosen, sogar an Kisten mit
vin ordinaire
für die, wie ich annahm,
conscrits ordinaires,
die einfachen Einberufenen. An einer Kreuzung in der gewaltigen Halle begegneten wir einem ziemlich hochgewachsenen französischen Colonel, der sich in einer hitzigen Auseinandersetzung mit einem ziemlich kleinen Caporal-Chef befand. Der Colonel trug eine Lederjacke mit Gürtel und einen Panzerfahrerhelm, zwischen seinen Lippen klemmte eine Zigarette, und über die kniehohen Stiefel hatte er dicke Armeesocken gezogen, um auf dem Eis nicht auszurutschen. Wie sich herausstellte, war er der Befehlshaber des 507. Panzerregiments, das ein ganzes Stück hinter der Maginot-Linie in Reserve stand. Der

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