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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Schlagzeilen vor, hätten wir herausgefunden, dass die deutschen Befehlshaber mit Golfschlägern in ihren Panzern unterwegs waren, um den Blitzkrieg in Le Touquet kurz für eine Runde Golf zu unterbrechen.
    In Calais sprach ich ein paar Subalterne einer unserer Eliteeinheiten an, ich glaube, von den Queen Victoria Rifles. Sie suchten nach Gebäuden im Hafenbereich, in denen sie sich verschanzen konnten. Ihnen war gesagt worden, Churchill habe den Befehl gegeben, Calais bis zum Letzten zu halten. Und dazu waren sie bereit – nur wussten sie weder, wo ihr General war, noch, wer denn nun das Kommando hatte oder wann ihre Ausrüstung eintreffen würde. Ich glaube, das war der Punkt, an dem ich begriffen habe, dass die ganze Chose ein einziger Schlamassel war, von der Maginot-Linie, Flandern und dem BEF-Hauptquartier in Arras über Amiens und Boulogne bis nach Calais und Dünkirchen. Hitler hatte seine Stukas und Panzer über Jahre geschult, während wir mit Schirmen herumgefuchtelt hatten. Wenn es etwas Positives an der Geschichte gibt, dann, dass es uns zu gelingen scheint, unsere Jungs zu Tausenden von den Stränden vor Dünkirchen zu evakuieren. Aber wie Churchill sagt: Kriege werden nicht durch Rückzüge gewonnen.
    Mir ist eine Koje in einem der wohl letzten Fischerboote zugewiesen worden, die noch aus dem Hafen von Calais auslaufen. Diese Worte tippe ich auf meiner verlässlichen Underwood-Reiseschreibmaschine in der überfüllten Kombüse, die nach Dieselöl stinkt. Der französische Kapitän plant, heute Nacht bei Ebbe abzulegen und noch vor Anbruch des Tageslichts Dover zu erreichen, um den Piloten der Luftwaffe zu entgehen, die den Kanal nach lohnenden Zielen absuchen. Ich kann es kaum glauben, dass ich morgen früh in England sein werde und mit etwas Glück morgen Abend in London. Tatsächlich fühle ich mich unsäglich schuldig, weil ich meine eigene Haut rette und die Queen Victoria Rifles zurücklasse, die den Hafen halten sollen. Meine Schuldgefühle haben mich jedoch nicht davon abgehalten, die mir angebotene Koje anzunehmen. Seltsamerweise fährt auch der Colonel der Reserve, M. R. Protheroe, der mich beschuldigt hat, mit meinen Wetterangaben aus Flandern König und Vaterland zu verraten, auf dem Schiff mit. »Sie kommen mir bekannt vor«, sagte er, als er mich die Leiter in die Kombüse hinuntersteigen sah. Mein Helm mit der Aufschrift KRIEGSREPORTER baumelte an meinem Rucksack. Colonel Protheroe schien Schwierigkeiten zu haben, mein Gesicht zu fokussieren. Er hatte den gleichen leeren Blick, wie viele der verstörten Soldaten, die mir in Spanien begegnet waren.
    »Philby von der
Times«
, sagte ich und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie nicht. Ich bin nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt wahrgenommen hatte.
    Nach einer ganzen Weile, während der er auf der Innenseite seiner Wange herumkaute, fragte Colonel Protheroe: »Sind wir uns schon mal begegnet?«
    »In Flandern. Ja.«
    »O Gott, Flandern. War das im ersten Großen Krieg oder in diesem?«
    »In diesem.«
    »Ich hoffe, Sie haben Nachsicht mit mir. Ich erinnere mich eigentlich ganz gut an alles, nur bin ich oft unsicher, was die Reihenfolge der Geschehnisse betrifft.«
    »Den Nachrichten von der Front nach zu urteilen, gibt es einige, denen es ähnlich geht.«
    »Meinen Sie? Nun, geteiltes Leid ist halbes Leid. Wir brechen bald nach Dover auf. Ich nehme doch an, die Ankunft kommt nach der Abfahrt.«
    Er lächelte nicht, und ich begriff, dass er nicht versuchte, einen Scherz zu machen.
    Hochachtungsvoll,
    H. A. R. Philby

Kapitel 11
    London im Juni 1940:
Mr Philby verspricht, auf dem Foto seines Dienstausweises ein ernstes Gesicht zu machen
    Verdrießlich, wie Männer nun mal dreinschauen, wenn sie zu einem Treffen mit jemandem gehen, den sie nie zuvor gesehen haben, betrat der Engländer das Vestibül des St. Ermin’s Hotel in der Caxton Street, unweit der Victoria Station, und blickte sich unsicher um. Er sah mich in einer kleinen Nische nahe dem Korridor, der zu den Toiletten führte, sitzen, ohne auch nur eine Sekunde lang die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, er könne mit mir verabredet sein, obwohl ich doch das einzige menschliche Wesen in Sichtweite war – wenn man von seinem eigenen Bild im großen Wandspiegel einmal absah. Ich war einfach zu grauhaarig und zu alt. Er sah auf seine Uhr, zuckte mit den Schultern und wollte wieder gehen – woraufhin ich zwei Finger zwischen die Lippen steckte und auf ihnen pfiff. Das ist ein

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