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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Franzosen und Deutsche die Nation bekämpfen können, die er für den Hauptfeind des Westens hält, die Sowjetunion. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Einfluss der väterlichen Prägung so wenig nachhaltig war, dass der Sohn als Geheimagent für diesen Feind arbeitet.« Ich holte ein Telegramm noch jüngeren Datums aus der Akte des Falles 5581 und las es laut vor: »Diese Depesche vom Londoner Residenten an die Moskauer Zentrale datiert vom 24. Dezember 1940: Sonny …« Ich warf dem hochgeachteten Josef Wissarionowitsch einen Blick zu und fügte ein: »›Sonny‹ ist der Deckname des Engländers.«
    Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch murrte: »Ich bin kein Trottel, Oberleutnant Modinskaja.«
    »Es war nicht meine Absicht anzudeuten …
    »Lesen Sie die Depesche vor.«
    »›Sonny ist vom britischen Secret Intelligence Service rekrutiert worden. Er wurde der Abteilung D zugeteilt, einer Einheit, die sich damit befasst, die Schwachstellen der deutschen Nachschubwege auszumachen.‹« Ich sah den hochgeachteten Josef Wissarionowitsch an. »Es ist kaum zu glauben, dass unser vermeintlicher Agent, angeworben 1934, gleich darauf das Glück hatte, in die Dienste der berüchtigten
Times of London
zu stolpern, um aufseiten Francos über den Bürgerkrieg in Spanien zu berichten, und dass er angeblich sofort anschließend vom Secret Intelligence Service rekrutiert wurde, der als einer der fähigsten Geheimdienste dieser Welt gilt. Im SIS müssten nur Trottel sitzen, sollten sie tatsächlich nicht merken, dass da Staatsgeheimnisse an Moskau weitergegeben werden. Ich will ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Aufstieg des Engländers in den Rängen des SIS trotz seines Hintergrunds, trotz seiner sozialistischen Aktivitäten an der Universität Cambridge und trotz seiner Ehe mit einer Frau, die bekanntermaßen ein Mitglied der Österreichischen Kommunistischen Partei ist, unwahrscheinlich schnell vonstatten ging. Wenn wir Philbys letztem Bericht, datiert vom 18. Juli 1941, Glauben schenken wollen, ist er der Eliteeinheit der Spionageabwehr von Colonel Felix Cowgill zugeteilt worden, die den wenigen Experten, die von ihrer Existenz wissen, als ›Fünf von Sechs‹ bekannt ist – die Sechs steht für MI6, so die Verwaltungsbezeichnung des SIS. Laut Philby konzentriert sich die Einheit auf die Unterwanderung deutscher und italienischer Spionageorganisationen und füttert sie mit Fehlinformationen, die bis in den deutschen Führungsstab und sogar bis zu Hitler selbst gelangen. Ich würde sagen, wenn der SIS fähig ist, die deutschen und italienischen Dienste zu unterwandern, gelingt es ihm auch bei uns, und ich behaupte, dass Philbys vermeintliche Rekrutierung 1934 durch die Moskauer Zentrale der Beginn dieser Unterwanderung unserer Dienste war.«
    Genosse Beria murmelte etwas in Richtung von Josef Wissarionowitsch, der die Lippen kräuselte und mit den Schultern zuckte. Genosse Beria sagte daraufhin laut in die Runde: »Seine Herkunft und sein Hintergrund sind keine Beweise; ihre Behauptungen sind reine Spekulationen.«
    Wenn ich daran zurückdenke, muss ich mich über meinen eigenen Mut wundern. »Hat man jemals von einem Apfel gehört, der so weit vom Stamm gefallen ist?«, fragte ich.
    Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch schnaubte. »Ich wüsste da ein Beispiel. Mich. Mein Vater war Schuhmacher, und er hat den Großteil seines Verdienstes versoffen. Es würde mich überraschen, wenn er die Bedeutung des Wortes ›Proletariat‹ überhaupt gekannt hätte.« Der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch deutete mit seiner gesunden Hand in meine Richtung. »Sie haben doch sicher noch handfestere Beweise, Oberleutnant Modinskaja.«
    »Die habe ich«, stimmte ich ihm zu.
    »Die hat sie«, sagte Hauptmann Gussakow nervös. »Nun reden Sie schon, um Gottes willen«, forderte er mich auf.
    »Gottes Wille wird in diesem Raum selten heraufbeschworen«, sagte der Genosse Beria vom Kopf des Tisches her, und der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch ließ fast so etwas wie ein Lächeln erkennen.
    »1934 bat der Londoner Resident Teodor Stepanowitsch Mali, Deckname ›Mann‹, die Moskauer Zentrale um Erlaubnis, den Engländer zu kontaktieren, und als sie ihm widerstrebend gewährt wurde, rekrutierte er ihn auf einer Bank in einem der großen Londoner Parks. Nach seiner Rückbeorderung nach Moskau gestand Mali, ein deutscher Agent zu sein, und er wurde zur höchstmöglichen Strafe verurteilt. Ich habe direkt vor seiner

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