Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
heimlich in seine rechte Hand blickte. Offenbar benutzte er diesen alten Bürokratentrick, um seine Zuhörer glauben zu lassen, er spreche aus dem Stegreif und ohne Notizen. »Der Engländer hat uns darüber informiert, dass Hitler in den Morgenstunden des zweiundzwanzigsten Juni in unser Vaterland einmarschieren würde«, sagte er. »Darüber hinaus hat er uns wissen lassen, dass die Achsenmächte mit vier Komma fünf Millionen Mann angreifen würden, sechshunderttausend Motorfahrzeugen und siebenhundertfünfzigtausend Pferden, und das auf einer Breite von zweitausendneunhundert Kilometern. Alle diese Informationen waren zutreffend.«
    »Hochgeachteter Josef Wissarionowitsch, es lag eindeutig in Englands Interesse, uns die Informationen über Hitlers Invasion zukommen zu lassen, damit wir den Einmarschierenden besser entgegentreten konnten. Wir und die verhassten Deutschen sollen uns gegenseitig in endlosen Schlachten aufreiben, das ist der britische Traum seit Gründung des Sowjetstaates.«
    »Verehrter Oberleutnant Jelena Modinskaja«, sagte Josef Wissarionowitsch, und seine Stimme war jetzt ein barsches Flüstern, das vor Sarkasmus nur so troff. »Meiner Information nach sind Sie Informationsanalytikerin. Niemand hat mir gesagt, dass Sie auch noch eine Koryphäe auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen sind, die sich auf die Beweggründe kapitalistischer Regierungen spezialisiert hat.« Er rammte sich die Pfeife zwischen die Zähne und beugte sich zum Genossen Beria hin, der ein Streichholz entzündete und über den Tabak hielt. Der Kopf des hochgeachteten Josef Wissarionowitsch verschwand hinter einer Wolke aus Tabakrauch, während er den anderen am Tisch erklärte: »Im Gegensatz zur naiven Sicht von Oberleutnant Modinskaja lag es im britischen Interesse, dass die hitlerische Kriegsmaschine die Sowjetunion niederwalzen würde, wie zuvor schon Belgien, Holland und Frankreich. Es ist gemeinhin bekannt, dass die englische Oberklasse, also die regierende Klasse, insgeheim prodeutsch und nicht ganz so insgeheim antijüdisch ist. Mit einer besiegten Sowjetunion hätte Hitler alle Hände voll zu tun, die unterworfenen Länder Europas zu führen und ihre Ressourcen zu plündern, beginnend mit dem Öl aus dem Kaukasus und dem Weizen der Ukraine. Er hätte keinen Grund, auch noch in England einzumarschieren. Er und die englische Oberklasse würden schnell zu einer Übereinkunft kommen. Der britische Faschist Mosley würde Premierminister, und König Edward, der nach seiner Abdankung und Heirat mit der geschiedenen Amerikanerin Simpson die Flitterwochen in Deutschland verbracht hat, würde auf den Thron zurückgerufen. Oberleutnant Modinskaja hat den Wert der Warnung des Engländers völlig verkannt. Und ihn in diesem Maße zu verkennen, dafür kann es nur eine Erklärung geben: ihre Entschlossenheit, den Agenten Sonny in Misskredit zu bringen. Was den Verdacht erweckt, dass sie vielleicht selbst eine ausländische Agentin ist.« Damit wandte sich der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch wieder mir zu. »Sagen Sie es frei heraus: Für wen arbeiten Sie? Die Deutschen oder die Engländer?«
    Ich hatte Schwierigkeiten, meine Stimme wiederzufinden. »Ich arbeite für den kommunistischen Traum«, gelang es mir endlich zu antworten. »Ich arbeite für die Sowjetunion. Ich arbeite für Sie, hochgeachteter Josef Wissarionowitsch.«
    Meine Antwort belustigte den hochgeachteten Josef Wissarionowitsch so, als hätte ich einen Witz gemacht, der sich nur Eingeweihten erschloss, zu denen die Genossen Beria und Chruschtschow offensichtlich zählten, da auch sie in Lachen ausbrachen. Die anderen am Tisch stimmten schließlich mit ein, obwohl ich bezweifle, dass sie wussten, worüber gelacht wurde.
    »Der Engländer hat uns auch noch andere Geheimnisse weitergegeben, die bestätigen, dass er ein echter sowjetischer Spion ist«, fuhr der hochgeachtete Josef Wissarionowitsch fort. »Er hat uns berichtet, dass die Amerikaner in Zusammenarbeit mit britischen Physikern an der Kernspaltung arbeiten und erwarten, bis 44 oder 45 den Bau einer Atombombe abgeschlossen zu haben. Er hat uns darüber informiert, dass die Briten den geheimen deutschen Ultra-Code geknackt haben, weshalb sie die Einzelheiten von Hitlers geplanter Invasion unseres sowjetischen Vaterlandes kannten. Er hat von einer geheimen britischen Technik mit dem Namen Radar berichtet, die sie entlang der Küste installiert haben. Die Apparate sehen wie riesige Bettfedern aus,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher