Phillips Bilder (German Edition)
Benjamins Mutter ist vor sechs Jahren gestorben, sein Vater ein Jahr später.
„Du warst siebzehn“, sage ich.
„Ja.“ Benjamin schaut wieder auf den Grabstein. „Wie alt warst du?“
„Neunzehn, letztes Jahr.“
„Du kommst damit klar, oder?“
„Ja, irgendwie schon.“
Benjamin schüttelt langsam den Kopf. „Mich hat es auch nach einem Jahr noch sehr beschäftigt. Auch nach zwei. Es hat mein Leben verändert. Warum ist das bei dir anders?“ Benjamin steht auf, aber er sieht mich immer noch nicht an.
Ich blicke auf den Grabstein, auf die zwei Namen. „Es waren nicht meine beiden Eltern. Mein Vater war für mich da. Ich war schon in Berlin und zwei Jahre älter. Ich weiß es nicht.“
Benjamin nickt, als würde ihm diese Erklärung schon reichen. „Ja“, sagt er, mit einem Seufzen, als würde er alle Schwere mit diesem Ja herauslassen. Ich sehe ihn von der Seite an, er hebt den Blick, schaut über das Grab hinweg, scheint mich zu vergessen.
„Kann ich dich fotografieren?“
„Nicht hier. Komm.“ Er geht voraus zu der Mauer, die den Friedhof umschließt, und wie eine Burgmauer wirkt. Schmale Steintritte führen nach oben, auf einen Umlauf hinter einem niedrigen Mauerkranz. Benjamin läuft unbefangen ein Stück, während ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen setze.
„Schau!“ Er ist stehen geblieben und deutet nach vorn. Wir überblicken das halbe Dorf, seine Hänge, Hügel in der Ferne.
Benjamin steckt die Hände in die Hosentaschen, der Wind weht ihm ins Gesicht, spielt mit seinen Haaren. Ich messe schnell die Belichtung, stelle die Kamera ein. Dann hocke ich mich hin, fotografiere ihn, wie er da steht, Wind im Haar, den Blick in die Ferne gerichtet. Wie er da oben steht, frei und selbstbewusst und ganz bei sich.
„Gut?“, fragt er.
„Gut“, antworte ich. Benjamin lächelt mich durch den Sucher hindurch an.
- 5 -
Warten
Im Garten ist es dämmrig, unter den Bäumen hat sich die Dunkelheit zuerst ausgebreitet. Die Vögel singen unermüdlich, verabschieden den Tag.
Benjamin und David sind ins Haus gegangen. Seth ist nicht gekommen, am Nachmittag nicht und auch nicht am Abend. Ich habe Benjamin und David mit meiner schlechten Laune genervt, mich über Seth geärgert, über mich und darüber, dass ich mich geärgert habe. Ich habe eine ganze Flasche Rotwein getrunken, das Hochprozentigste, was im Haus war, und jetzt habe ich einen schweren Kopf. Morgen will ich einkaufen, Wein und Bier, aber auch Brot und Käse. Ich will mich nicht bei meinen Gastgebern durchfressen. So wie Seth.
Ich sollte jetzt aufhören auf ihn zu warten, es ist schon spät. Aber ich kann nicht schlafen. Bin ich verliebt? Reicht es schon, ein zweites Mal mit ihm schlafen zu wollen, den halben Tag an ihn zu denken, um verliebt zu sein? War ich schon einmal verliebt? Wahrscheinlich nicht, das wüsste ich wohl.
Mit keinem Typen habe ich öfter als einmal geschlafen. Als ich noch zu Hause war, sowieso nicht. Da war es schwer, überhaupt jemanden kennenzulernen. Ich suchte im Internet, aber alle wohnten weit weg. In Berlin war es leicht. Zu leicht manchmal. Ich zog durch Clubs und Bars. Schleppte ab oder ließ mich abschleppen. Manche wollten nicht mal ein paar Worte reden. Zwei küssten nicht. Der Sex war wahlweise geil oder einfallslos. Ich kann mich an keinen einzigen Namen erinnern. Doch, einer hieß Stefan, vielleicht nicht sein richtiger Name. Und er schrie nach einem Max, als er kam.
Ist es zu viel verlangt, dass der Typ, mit dem ich im Bett bin oder in der Hängematte, meinen Namen stöhnt? Und wird er auch noch stöhnen, wenn wir es zum zehnten oder zwanzigsten Mal tun?
Ich drehe mich zur Seite und schaue zum Haus. Aus dem Schlafzimmer von David und Benjamin dringt warmes Licht. Wahrscheinlich haben sie jetzt Sex. Sie müssen seit drei oder vier Jahren zusammen sein und ich frage mich, ob sie noch Leidenschaft füreinander empfinden oder es nur aus Gewohnheit tun. Oder sich nur schnell einen runterholen, um besser einschlafen zu können. Und das sollte ich jetzt auch tun. Einschlafen.
Als ich aufwache, liegt Seth neben mir und schläft. Er trägt ein Kapuzenshirt und eine kurze Hose und ist nicht zugedeckt. Die Arme hat er um sich selbst geschlungen, aber seine Knie stoßen an mein Bein, sein Körper drückt sich an meinen und ich wundere mich, dass ich nicht aufgewacht bin, als er sich zu mir gelegt hat.
Die Sonne scheint durch die Äste und es ist warm. Ich habe einen flauen Geschmack im Mund
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