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Verdienst würdig ist, von Gott aufgenommen zu werden. Die Begründung
dieser Annahme liegt in der Lehre von der Erbsünde. Der Mensch, so glaubte Augustinus, sei von Natur aus böse. Selbst in Kindern
zeige sich schon diese böse Natur. So ist es einzig die Gnade Gottes, die den Menschen, völlig gegen alle rationalen Gründe
und Verdienste, zur Erlösung auserwählt. Diese Wahl hat Gott schon vor der Geburt jedes Einzelnen getroffen.
Diese Thesen waren in der frühen christlichen Kirche höchst umstritten und mussten in Predigten und Streitschriften immer
wieder verteidigt werden. Aber Augustinus hatte, so glaubte er, ein starkes Argument für die Gnadenlehre: sein eigenes Leben.
War er nicht selbst als weltlicher, sündiger Mensch völlig wider alle Erwartungen von Gott aufgenommen worden? Er war zutiefst
davon überzeugt, dass seine eigene Bekehrung ein unwiderlegbarer Beweis der Gnade |31| Gottes war. In diesem Licht wählt er Ereignisse seiner Kindheit und Jugend aus und deutet sie. Moralische Wertungen, wie wir
sie heute als normal empfinden, treten dabei in den Hintergrund.
So bemüht er sich, seinen eigenen kindlichen Willen und seine kindlichen Bedürfnisse als böse darzustellen, um seine These
von der Erbsünde und der bösen Natur des Menschen stützen zu können. Während er über die Tatsache, dass er sich in Mailand
von seiner langjährigen Gefährtin mit einem Schlag trennt und ihr auch noch den gemeinsamen Sohn wegnimmt, mit wenigen Worten
hinweggeht, schildert er im zweiten Kapitel ausführlich den berühmten Birnendiebstahl, den er als Jugendlicher mit Freunden
beging. Wichtig an diesem an sich harmlosen Jungenstreich ist für Augustinus, dass der Diebstahl ohne eigentliches Motiv war:
Er geschah nicht aus Hunger oder weil die Birnen besonders schmackhaft waren. Es gab, so formuliert Augustinus, »für meine
Bosheit keinen anderen Grund als die Bosheit selbst«. Meine angeborene Bosheit, so lautet die Botschaft, war offensichtlich,
und niemand war weniger würdig, von Gott aufgenommen zu werden, als ich. Und dennoch ist es geschehen.
Bei der Schilderung seiner »bösartigen« Neigungen spielt die Sexualität eine herausragende Rolle. Die immer wieder überlieferte
Meinung, Augustinus habe ein ausschweifendes Leben geführt, findet in den
Bekenntnissen
kaum Nahrung. Augustinus hat, nach allem, was wir wissen, ein normales sexuelles Leben geführt. Ein Problem entstand für ihn
aber dadurch, dass er sich einerseits an Sexualität gewöhnt hatte, andererseits Christsein mit der Forderung nach Keuschheit
verband. Immer wieder betont er in den
Bekenntnissen
, dass die Forderung nach Keuschheit seine Bekehrung zum Christentum wiederholt hinausgezögert habe. Sexualität wird für ihn
am Ende zum Musterbeispiel für Sünde. Es war Augustinus, der die Abwertung der körperlichen Liebe in der christlichen Theologie
ganz wesentlich beeinflusst hat.
Die Auseinandersetzung mit der Sexualität spielt aber nicht nur eine wichtige Rolle in seiner theologischen, sondern auch
in seiner persönlichen Entwicklungsgeschichte. In den
Bekenntnissen
gibt es |32| nur zwei eigentlich bedeutsame Hauptfiguren: Augustinus und seine Mutter Monnica. Der Vater und die Geschwister werden nur
am Rande erwähnt. Diese äußerst enge Mutter-Sohn-Beziehung bietet für psychoanalytisch geschulte Leser unendlichen Stoff,
ihr Grundmuster ist aber auch ohne psychologische Tiefendeutung leicht erkennbar.
Monnica ist eine besitzergreifende Mutter, die ihren Lieblingssohn nicht loslassen kann. Besonders seine Sexualität erscheint
ihr bedrohlich. Als der Vater seinen heranwachsenden Sohn beim Bad beobachtet und der Mutter stolz von seiner geschlechtlichen
Reife erzählt, reagiert diese mit Unbehagen. Sie fürchtet die Hinwendung zu anderen Frauen als eine Abwendung von ihr selbst.
So arbeitet sie darauf hin, die jahrelange Beziehung des Augustinus zu seiner Konkubine, mit der er auch einen Sohn hat, zu
beenden, was ihr schließlich gelingt. Sie versucht zu verhindern, dass Augustinus seine Heimat verlässt. Als er im Begriff
ist, mit dem Schiff nach Rom überzusetzen, kann er den Widerstand der Mutter nur durch die Notlüge überwinden, er wolle lediglich
bei einem Freund übernachten, der auf seine Abfahrt warte. Als sie bemerkt, dass er weg ist, ist sie untröstlich. Schließlich
folgt sie ihm und lebt bis zu ihrem Tod bei ihm in Italien. Seine Hinwendung zum Christentum ist
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