Philosophenpunsch
nämlich böse werden. Das hat nichts mit Stärke oder Männlichkeit zu tun. Es ist nur dumm. Diese Lügengebäude brechen irgendwann alle zusammen, und du bist nicht talentiert zum Lügen. Hast du etwa schon im Kaffeehaus gesoffen, vor all den anderen? Sodass sie gleich erkannt haben, dass du ihnen etwas vormachst?«
»Nein, Mutter«, kam es gequält aus Franz Jäger heraus. Er war mit seinen Nerven am Ende und spürte gleichzeitig, wie sein Körper gegen den Alkohol rebellierte.
»Wo hast du getrunken?«
Er wollte stark sein, aber er konnte es nicht. Sein Fleisch wurde immer schwächer. »Ich weiß nicht genau … In einem kleinen Lokal vorn am Spitz … Es war mir egal«, stotterte er. »Bernhard war so gemein zu mir, ich habe einfach etwas gebraucht … Ich habe mir eine Flasche Rotwein bestellt.«
»Hoffentlich hast du nicht komplett die Kontrolle über dich verloren, Franzilein. Ich fürchte, du hast Dinge gesagt oder getan, die du jetzt bereust. Du musst ruhiger und aufrichtiger werden. Siehst du nicht ein, wie wichtig das ist?«
»Mutter, bitte!« Franz Jäger war gar nicht mehr gut.
»Ich sehe schon, die Sache regt dich viel zu sehr auf«, ließ Valerie Jäger nicht locker. »Und bringt dich unnötig in Verdacht. Es gibt nur einen Weg: Du gehst gleich in der Früh zur Polizei und sagst dort die ganze Wahrheit, alles, was du weißt. Versprichst du mir das? Du wirst sehen, nachher fühlst du dich richtig erleichtert. Wenn du willst, gehe ich auch mit dir, ja?«
Aber Franz Jäger hörte diese letzten Worte seiner Mutter nur mehr wie aus weiter Ferne. Eine maßlose Übelkeit ergriff Besitz von ihm. Alle Versuche, das, was sich nun rasch in ihm nach oben arbeitete, hinunterzuwürgen, schlugen fehl. Mit einem mächtigen Satz beförderte er sich auf die Toilette und erledigte dort geräuschvoll das Unvermeidliche.
Eine Zeitlang war es still, bis auf das Rauschen der Spülung. Dann kam Franz Jäger mit glasigen Augen und einer noch um eine Spur bleicheren Hautfarbe als vorher wieder heraus. Valerie Jäger wirkte für einen Augenblick unentschlossen. Schließlich ging sie nachschauen. Ja, es war alles in Ordnung, Gott sei Dank. Schön sauber und geputzt, wie man es von einem wohlerzogenen Kind verlangen durfte. »Du gehörst jetzt schleunigst ins Bett«, ordnete sie an. »Aber vorher trinkst du noch einen guten Tee für den Magen, und zwar in ganz, ganz kleinen Schlucken.«
»Ja, Mutter«, fügte sich Franz Jäger in sein Schicksal.
8
Leopold hatte eine unruhige Nacht verbracht. Die Tante hatte geschnarcht, dass man es durch die geschlossene Tür gehört hatte, und viele Gedanken waren ihm im Kopf herumgegangen. Was war das Motiv für die Attacke gegen Klein gewesen? Hatte sie tatsächlich etwas mit dem Mord an Veronika Plank zu tun? Vor allem: Welche Möglichkeiten blieben ihm, sich weiter um den Fall zu kümmern, jetzt, wo ihn seine Tante allmählich für sich vereinnahmen würde?
Beim Frühstück hatte er dann grantig sein Marmeladenbrot gegessen und an seinem Kaffee geschlürft. Agnes Windbichler hatte einen nicht enden wollenden Redeschwall über ihn niedergehen lassen, erzählt und erzählt, Fragen über Fragen gestellt. Leopold hatte einen Eindruck davon bekommen, wie das Leben seines Onkels Ignaz tagein, tagaus, vor allem am Morgen, ausgesehen haben musste. Zwischen zwei Bissen hatte er immer wieder höflich genickt und »Ja, Tante« gesagt. Ja, sie sollte ihn im Kaffeehaus abholen. Ja, natürlich würden sie sich den Floridsdorfer Weihnachtsmarkt ansehen. Und ja, er wusste, dass er sich am Sonntag für den kleinen Ausflug zu dem Weinkeller bereithalten sollte. Am Schluss war er froh, als er sich in sein Auto setzen und zur Arbeit fahren konnte.
Dort genoss er die Zeit bis zum Aufsperren. Das leise Summen der Kaffeemaschine, sobald er sie eingeschaltet hatte, der angenehme, aromatische Duft der ersten Schale, die er sich selbst herunterdrückte, hoben seine Laune schnell wieder. Beschwingt setzte er seine Schritte über den leicht knarrenden Parkettboden und sah sich um, ob auch alles seine rechte Ordnung hatte. Gerade jetzt, in den Tagen vor Weihnachten, schneite immer wieder unerwarteter Besuch herein. Es war ja Sitte, vor dem Heiligen Abend noch schnell alle Freunde und Lokale aufzusuchen, die man kannte, so als ob man einander wochen- und monatelang nicht wiederbegegnen würde. Gar mancher beinahe schon vergessene ehemalige Stammgast setzte da seinen Fuß über die Schwelle, und es war
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