Philosophenpunsch
Gerlinde Pelinka. Sie sind jetzt im Kaffeehaus, stimmt’s? Haben Sie viel Arbeit?«
»Es geht.« Einerseits musste sich Leopold zusammenreißen, dass er nicht gleich einige Unfreundlichkeiten von sich gab, andererseits ahnte er, was er sich von seiner Tante anhören konnte, wenn er sich nicht zumindest bemühte herauszubekommen, was die etwas begriffsstutzige Dame am anderen Ende der Leitung wollte.
»Frau Windbichler ist nicht zugegen. Kann ich vielleicht irgendwie helfen?«, säuselte er deshalb wohlerzogen ins Telefon.
»Ja, also, es ist wegen dem Weinkeller«, hub Gerlinde Pelinka an, so als ob Leopold in alle diesbezüglichen Pläne vollständig eingeweiht wäre. »Sagen Sie Agnes, ich habe den Schlüssel gefunden. Jetzt ist er allerdings schon wieder weg. Ich weiß nicht, gestern habe ich ihn noch gehabt und war ganz stolz darauf. Wo kann ich ihn nur hingelegt haben? Ich werde die Frau Jäger fragen müssen, das ist sicher das Beste.«
Leopold hatte schon überlegt, kurzen Prozess zu machen und das Gespräch abrupt zu beenden, weil er sich dieses wirre Gefasel nicht mehr länger anhören wollte. Aber der Name Jäger riss ihn aus seiner Lethargie. »Wer ist diese Frau Jäger?«, fragte er neugierig.
»Das ist eine sehr liebe Frau, die mir mit dem Haushalt hilft«, erklärte Gerlinde Pelinka. »Sie kommt fast jeden Tag nach mir schauen. Gestern am Abend war sie da, und heute kommt sie auch wieder, glaube ich. Ich bin ja nicht mehr die Jüngste, wissen Sie.«
»Schon gut, schon gut! Hat diese Frau Jäger vielleicht einen Sohn, der Franz heißt?«
»Natürlich, unser Franzilein. So ein wohlerzogenes Kind! Auf den kann sie wirklich stolz sein. Er hat eine feste Anstellung und gibt ihr auch einiges von dem Geld ab, das er verdient. Da können sich andere Söhne ein Beispiel nehmen. Sie hat ja Pech gehabt. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber sie ist von ihrem Mann verlassen worden, einfach so, mir nichts, dir nichts.«
»Das erzählen Sie mir bitte ein andermal, Frau Pelinka«, unterbrach sie Leopold, dem das Gestammel schon ordentlich auf den Nerv ging. »Die Weinkellerpartie findet also statt?«
»Sie findet natürlich statt«, versicherte Frau Pelinka. »Das können Sie Ihrer Tante Agnes ausrichten. Ich habe sie leider unter der anderen Nummer nicht erreicht. Das heißt, zuerst muss ich noch den Schlüssel finden. Nun, er kann ja nicht weit sein. Kommen Sie auch mit? Es ist morgen Nachmittag.«
»Gezwungenermaßen. Aber tun Sie uns doch den Gefallen und laden Sie Frau Jäger und ihren Franz auch zu diesem Ausflug ein. Dann wird es bestimmt ein unvergessliches Erlebnis«, bat Leopold. Auf einmal begann die Besichtigung des alten Weinkellers für ihn ihren Reiz zu bekommen. Er konnte unter Umständen Franz Jäger auf den Zahn fühlen und seine dominante Mutter dabei kennenlernen.
»Meinen Sie?«, überlegte Gerlinde Pelinka. »Ich kann sie ja fragen. Ich glaube, sie kommt heute noch. Natürlich, es ist ja Samstag. Also sagen Sie der Agnes …«
Leopold war es jetzt endgültig zu bunt. Er beendete das Gespräch. Eine Zumutung war das! Wie viel manche Menschen quasseln konnten, ohne zu einem Ergebnis zu kommen, und anderen die Zeit dabei stahlen.
Dann schaute er sich vorsichtig im Kaffeehaus um. Ein paar ungeduldige Gesichter sahen ihn fordernd und verständnislos an. Das war ja gerade noch auszuhalten. Aber wo war Frau Heller abgeblieben? Von wo sandte sie ihm ihre bösen Blicke entgegen, von wo kam ihre tadelnde Stimme? Hinter der Theke war sie jedenfalls nicht.
Drüben bei den Billardbrettern erfasste sie sein Blick. Mit seltsam glitzernden Augen, beinahe entrückt, schaute sie von dort zum Fenster hinaus. Große, weiße, immer dichter werdende Flocken tanzten vom Himmel herunter. »Schnee«, stieß sie verklärt hervor. »Und diesmal wirklich ausreichend. Jetzt bekommen wir tatsächlich weiße Weihnachten, Leopold. Schauen Sie nur, wie prachtvoll bereits alles angezuckert ist. Ist das nicht wunderbar? Ich muss unbedingt noch einen großen Topf Punsch zubereiten, damit die Leute in Stimmung kommen.«
Leopold bemerkte nur wieder die unvermeidlichen kleinen Lackerln und Pfützen, die die Leute ins Kaffeehaus hereintrugen und die sich unübersehbar über den ganzen braunen Parkettboden ausbreiteten. Das steuerte nicht gerade viel zur Verbesserung seiner persönlichen Stimmung bei. Aber immerhin hatte der Schnee ein kleines Lichtlein im Herzen seiner Chefin angezündet und ihn vor einer gröberen
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