Philosophenpunsch
Gruppierungen litten doch immer unter chronischem Geldmangel. Also hatte man beschlossen, sich selbst zu bedienen. Mario Schweda, der in einem Bekleidungsgeschäft arbeitete, das auch mit Pelzstücken handelte, und den Veronika von Kind auf kannte, kam den beiden da gerade recht.
Wie sie ihn wohl überredet hatten mitzumachen? Offensichtlich hatten sie ihm einen bescheidenen Anteil an der Beute versprochen. Vielleicht hatten sie ihm in Aussicht gestellt, das Geschäft später von diversen Aktionen auszunehmen. Wahrscheinlich waren auch Begriffe wie Freundschaft und Auf-der-richtigen-Seite-Stehen gefallen. Und vielleicht hatte Veronika dem im nüchternen Zustand scheu und verklemmt wirkenden Schweda sogar Hoffnungen auf ein Stelldichein als Belohnung gemacht. Jedenfalls hatte er, so gut es ging, dafür gesorgt, dass das Geschäft zum Zeitpunkt des Überfalls praktisch leer war, hatte bereitwillig das Geld herausgerückt und der Polizei nachher eine falsche Täterbeschreibung gegeben.
Veronika Plank und Angerer hatten sich nicht mehr bei ihm blicken lassen. Auch er hatte den Kontakt wohl zunächst gemieden. Dann die unerwartete Begegnung im Kaffeehaus. Der enthemmende Alkohol. Die unzugängliche Veronika, der nichts unangenehmer sein konnte als ein öffentliches Zusammentreffen mit dem illuminierten Schweda. Die Enttäuschung. Schließlich noch der Diebstahl. Grund genug, sie in der maßlosen Wut, in die er sich hineingesteigert hatte, zu erwürgen? Ein Lercherl war er ja nicht, das hatte Leopold bei der kurzen Auseinandersetzung mit Veronika vor den Toiletten gemerkt.
Während Leopold so sinnierte, waren er und Agnes bei einem Stand angekommen, bei dem sich zu den Aromen verschiedenster Punschgewürze und dazugehöriger Spirituosen auch der Duft frischer Waffeln und gebratener Würste gesellte. »So, da bleiben wir jetzt und essen und trinken etwas Gutes«, beschloss er. »Es ist Zeit, dass wir uns ein wenig ausrasten.«
»Muss denn das sein?« Agnes Windbichler war gar nicht begeistert. »Wir haben doch noch keinen Baum. Außerdem habe ich für uns für heute Abend ein gutes Geselchtes eingekauft.«
»Lass dir Zeit und trink einmal ein Glas Punsch«, versuchte Leopold beruhigend auf sie einzureden. »Musst ja nicht großartig speisen. Ich werd mir aber – mit deiner Erlaubnis – ein gutes Würstel genehmigen. Für den Baum bleibt uns noch genug Zeit.« Dann bestellte er eine Heiße mit Brot und Senf und zwei Heferln Orangenpunsch.
»Bei uns in Weitra ist halt alles viel weihnachtlicher«, äußerte Agnes Windbichler achselzuckend, sich die Hände ein wenig an dem heißen Getränk wärmend. Leopold war bereits wieder ganz in Gedanken, den Mordfall betreffend, versunken, während er seine Wurst in den Senf eintunkte und davon abbiss.
Schweda war jedenfalls einer der Hauptverdächtigen. Er musste sich beim Tatort befunden haben, sonst wäre seine Reaktion auf Leopolds Anschuldigung nicht wie die eines auf frischer Tat Ertappten ausgefallen. Wie aber war er auf die Idee gekommen, Veronika dort zu suchen? Und hatten der Glatzkopf und Jäger vorher tatsächlich von ihr abgelassen?
Andere Namen gingen kurz durch Leopolds Kopf, etwa jener von Bernhard Klein. Auch der war kein Waserl, wie man mittlerweile aus seiner Vorgeschichte wusste. Er tat offenbar nur abgehoben und war leichter aus der Fassung zu bringen, als viele vermuteten. Hatte er Veronika gesucht, weil sie nicht gleich zu ihm gekommen war, und war es dann zu einer verhängnisvollen, tödlichen Auseinandersetzung gekommen? Wer jedoch hatte dann Klein niedergeschlagen und warum? Warum vor allem an genau derselben Stelle, wo Veronika den Tod gefunden hatte? Fragen über Fragen gab es und zu viele Leute, die etwas wussten, das sie nicht preisgaben. Ein Blick auf seine ungeduldige Tante sagte Leopold, dass er nicht viele Möglichkeiten haben würde, an diese Leute heranzukommen. »Komm, gehen wir weiter«, mahnte Agnes Windbichler ihn auch schon, kaum hatte er den letzten Rest seiner Wurst in den Mund gesteckt. »Trink deinen Punsch aus.«
»Gleich!« Obwohl Leopold spürte, dass die Kälte jetzt, wo die Sonne schon bald eine Stunde untergegangen war, langsam vom Boden nach oben kroch, über die viel zu dünnen Socken hinauf unter das restliche Gewand, wo er natürlich keine Skiunterhose trug, wollte er noch ein wenig verweilen und dem Treiben zusehen. Der Punsch und die Wurst hatten ihn gewärmt und träge gemacht. Wozu die lästige Geschäftigkeit seiner
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