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Philosophenpunsch

Philosophenpunsch

Titel: Philosophenpunsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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Tante? »Es pressiert doch nicht«, sagte er und holte kurz entschlossen noch zwei Häferl Punsch.
    Am Nebenstand sah er einen der vielen Weihnachtsmänner lehnen, die mit ihrem weißen Bart und der roten Zipfelmütze in den Kaufhäusern und Einkaufszentren für Stimmung sorgen sollten, aber oft nur wie billige Karikaturen wirkten. Dieser hier schien sich eine verfrühte Stärkung knapp vor Dienstschluss zu genehmigen. Er erregte jedenfalls die Aufmerksamkeit vor allem der kleineren Passanten.
    »Papa, wer bringt eigentlich die Geschenke, das Christkind oder der Weihnachtsmann?«, hörte Leopold auch schon eine hohe, noch ein wenig unsichere Kinderstimme hinter sich. Der Bub mochte vier oder fünf Jahre alt sein und wirkte einerseits aufgekratzt, andererseits schon müde von dem ganzen Rummel.
    Der angesprochene Vater hatte nicht mit dieser Frage gerechnet. Er räusperte sich. »Also bei uns … bei uns ist noch jedes Jahr das Christkind gekommen, das weißt du doch«, antwortete er vorsichtig.
    »Aber warum hängt dann bei dem einen Fenster im Nachbarhaus ein Weihnachtsmann heraus, der mit einem großen Sack hinaufklettert? Kommt dort etwa der Weihnachtsmann zu den Kindern?«, ließ der Kleine nicht locker.
    »Vielleicht, das kann ich dir jetzt nicht sagen«, brummte der Vater, der seine Ruhe haben wollte.
    »Wieso kommt zu den einen Kindern der Weihnachtsmann und zu den anderen das Christkind?«, forschte der Knabe nach.
    Der Vater überlegte kurz. Er suchte nach einer Antwort, die die nervtötende Fragerei abstellen würde. »Das Christkind kann nicht überall gleichzeitig sein«, unterwies er deshalb seinen Sprössling. »Es hat so viele Kinder auf der ganzen Welt zu betreuen. Da muss der Weihnachtsmann eben auch seinen Teil beitragen.«
    »Stimmt nicht, Kevin«, meldete sich da Kevins vielleicht neun oder zehn Jahre alter Bruder zu Wort, der bisher still daneben gestanden war, jetzt aber offenbar Lust verspürte, ein wenig Öl ins Feuer zu gießen. »Das Christkind muss nicht überall auf der Welt zur gleichen Zeit sein. Es gibt nämlich Zeitzonen, deshalb ist es nie auf der ganzen Welt gleichzeitig Abend. Wenn es bei uns sechs oder sieben Uhr ist, ist es in Amerika erst zu Mittag. Darum geht sich für das Christkind alles locker aus. Außerdem kann das Christkind viel mehr als ein Mensch, wie der liebe Gott!«
    »Aber in Amerika kommt ganz bestimmt der Weihnachtsmann. Das habe ich sogar in einem Film gesehen«, maunzte Kevin.
    Die Nerven des Vaters wurden auf eine harte Probe gestellt. Er hatte inzwischen einen Punsch geholt, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. »Gib Ruhe, Manuel«, ordnete er in Richtung des Älteren an.
    »Ich kann keine Ruhe geben, wenn du nichts sagst, Papa«, stichelte Manuel weiter. »Kevin möchte doch erfahren, wer wirklich zu Weihnachten die Geschenke bringt, oder?« Dabei zwinkerte er seinem Vater schelmisch zu.
    »Ja, Papa, sag mir jetzt endlich, wer sie bringt«, bat Kevin erwartungsvoll.
    Dem Vater wurde immer weniger wohl in seiner Haut. Eine desillusionierende Aufklärung seines Jüngsten konnte er jetzt gar nicht brauchen, das würde Kindertränen bedeuten und Krieg mit seiner Frau. »Also schön, meinetwegen«, bemühte er sich deshalb um väterliche Allwissenheit. »Die vielen Geschenke zu Weihnachten bringt das Christkind, das steht einmal fest. In Amerika gibt es schon einen Weihnachtsmann, aber bei uns nicht. Bei uns kommt am 6. Dezember der Nikolaus mit einem großen Sack und lauter schönen Sachen für die braven Kinder. Er ist sicher schon einmal bei dir im Kindergarten gewesen.«
    »Zu mir in den Kindergarten ist kein Nikolaus gekommen«, plärrte Kevin und stampfte dabei zornig mit dem Fuß auf. »Warum ist er nicht gekommen? Warum hat er mir nichts gebracht?«
    »Du hast keine Ahnung, Papa«, seufzte Manuel. »In Wien darf der Nikolaus gar nicht in den Kindergarten.« 1
    »Ach so?« Der Vater war bereits sichtlich überfordert. »Warum denn das?«
    »Weil sich die kleinen ausländischen Mädchen, die nicht an den lieben Gott glauben, vor ihm fürchten«, antwortete Manuel spitzbübisch.
    »Soso! Aha!« Der Vater machte nervöse Schlucke von seinem Punsch. »Gebt jedenfalls bitte noch ein paar Augenblicke Ruhe. Wir gehen gleich weiter.«
    »Ich will das Christkind sehen«, beharrte Kevin. »Warum kann man das Christkind nicht sehen, nur immer diese blöden Weihnachtsmänner?« Dabei zeigte er auf den nicht gerade beispielhaft wirkenden Vertreter dieser

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