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Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hartung
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Themenkomplex »Mensch und Kultur« an der Grenze zwischen philosophischer Anthropologie und Kulturphilosophie. In seiner dreibändigen
Philosophie der symbolischen Formen
(1923–1929) und späterhin im
Essay on Man
(1944) hat er die Grundzüge seiner Kulturphilosophie dargelegt. Mit Kant über Kant hinausgehen ist das Motto der Philosophie Cassirers: »Die Kritik der Vernunft wird damit zur Kritik der Kultur.« (Cassirer 1923, 11) »Kultur« meint nicht etwas, was als Substrat oder geistige Form dem Tätigsein des Menschen vorgeordnet ist. »Kultur« meint vielmehr ein gemeinsames Band des geistigen Produzierens, das erst infolge der geistigen Tätigkeit Gestalt annimmt. Jeder Akt des Tätigseins ist nach [105] Cassirers Auffassung eine symbolische Tätigkeit. Weder der Mensch (homo symbolicus) noch das Band der symbolischen Tätigkeit (Kultur) stehen außerhalb dieses tätigen Geschehens. Alles ist Teil eines Gesamtprozesses. Menschsein heißt Tätigsein oder in Cassirers Worten: »das ›Sein‹ ist hier nirgends anders als im ›Tun‹ erfassbar« (Cassirer 1923, 11).
    In seiner
Philosophie der symbolischen Formen
legt Cassirer die unterschiedlichen Ausdrucksformen menschlicher Aktivität dar. Sowohl Sprache als auch Erkenntnis, Kunst und Religion werden von ihm dabei nicht als indifferente Medien dargestellt, die eine äußere Welt widerspiegeln, sondern als »die eigentlichen Lichtquellen, die Bedingungen des Sehens wie die Ursprünge aller Gestaltung« (Cassirer 1923, 27). Kultur ist die Summe geistiger Bildwelten, die der Mensch in freier Tätigkeit produziert; so transformiert er sein naturhaftes Leben. Anhand einer Analyse der Sprache, des mythischen Denkens und der Erkenntnis zeigt Cassirer in kulturgeschichtlicher Perspektive und auf der Grundlage der kantischen Erkenntnistheorie, dass es dem Menschen seit seinen Anfängen gelingt, sein bloß naturgegebenes Dasein in eine Form des Geistes zu verwandeln. Die Verwandlung von Natur in Kultur ist der Kern menschlichen Tätigseins. Menschsein ist nichts anderes als ebendies. Cassirer spricht auch an einer Stelle davon, dass es sich um eine »Umkehr«, eine »geistige Revolution« handelt, kraft derer »der Mensch sich die Welt beseitigt, um die Welt an sich zu ziehen« (Cassirer 1995, 36).
    Ein zentrales Problem der Anthropologie Cassirers ist die Frage nach der Demarkationslinie zwischen der Welt des Menschen und der Gesamtheit der Welt des Lebendigen, da diese Grenze nur in Bezug auf sein Tätigsein, nicht aber auf sein Sein zu ziehen ist. Cassirers anthropologischer Denkansatz basiert auf einer Analyse der geistigen Funktionsleistungen des Menschen. Was den Menschen ausmacht und ihn gegenüber anderen Lebewesen auszeichnet, lässt sich nicht an seiner Struktur als Naturwesen ablesen. Die [106] Unvergleichbarkeit rührt daher, dass nach Cassirer die spezifisch menschlichen Leistungen außerhalb jedes Vergleichs stehen. Nur der Mensch ist als formgebendes Wesen befähigt, seine natürliche Lebensumwelt zu transzendieren, um sich eine kulturelle Welt im Sinne einer zweiten Natur zu schaffen. So gesehen schließt Cassirer auf »die einfachste und prägnanteste Definition, die eine philosophisch-gerichtete ›Anthropologie‹ für den Menschen zu geben vermöchte […], daß er ›der Form fähig‹ ist« (Cassirer 1995, 44). Die Fähigkeit zur Formgebung ist weder ein Seinsmerkmal noch ein Element des menschlichen Bauplans. Sie ist vielmehr eine bloße Funktionsleistung. Als solche konstituiert sie die spezifisch menschliche Welt, die sich durch eine Distanzgewinnung zur Außen- oder Umwelt auszeichnet. Cassirer spricht hier in Anlehnung an Kant vom Übergang aus dem Reich der Natur in das Reich der Freiheit.
    Im
Essay on Man
(1944) verschiebt sich der Akzent der Fragestellung von der philosophischen Anthropologie (Was ist der Mensch?) zur Kulturphilosophie (Gibt es eine Einheit der menschlichen Kultur?). Im ersten Teil des Buchs wird der Blick auf die Differenz von Mensch und tierischer Lebensform gerichtet und die Bedingung der Möglichkeit menschlicher Kultur freigelegt, die sich ursprünglich in der menschlichen Sprache, der Raum- und Zeitvorstellung und des reflexiven Denkens manifestiert. Das Prinzip des Symbolismus ist nach Cassirers Ansicht der Schlüssel zum Verständnis menschlicher Kultur. Dieses Prinzip ist unabhängig von den Bedingungen der physischen Welt. »Es ist das symbolische Denken, das die natürliche Trägheit des Menschen überwindet

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