Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hartung
Vom Netzwerk:
und ihn mit einer neuen Fähigkeit ausstattet, der Fähigkeit, sein Universum immerfort umzugestalten.« (Cassirer 2007, 100)
    Auf die Freilegung der spezifischen Befähigung des Menschen, sein symbolisches Universum schöpferisch auszugestalten, folgt im zweiten Teil des
Essay on Man
die »definition of man in terms of human culture«. Mythos, Sprache, [107] Kunst usw. werden als prozessuale Momente kultureller Existenz vorgestellt. Sie sind Aspekte der menschlichen Bedeutungswelt und strukturell dem Begriff des Menschen eingeschrieben. Weil der Mensch nichts anderes als ein Akteur und Funktionsträger im Prozess symbolischer Weltgestaltung ist, schlägt Cassirer die Definition des »animal symbolicum« (Cassirer 2007, 51) vor. Diese Definition soll der Unfestgestelltheit und Unbestimmbarkeit des Menschen gerecht werden, der ständig und immer wieder von neuem gemäß seiner Befähigung sein »human universe« umgestaltet. Dementsprechend folgt die kulturphilosophische Bestimmung des Menschen auch einer bloß regulativen Idee, an der sich die Analyse der einzelnen symbolischen Formen orientieren muss, die sie allerdings weder als konstitutiv voraussetzen noch als faktisch erreichbar denken darf. Cassirer spricht hier von der Humanität als einem universalen Subjekt, das es erlaubt, die ganz unterschiedlichen Objektivationen des Lebens im mythischen Denken, in der Sprache und Wissenschaft zumindest idealiter auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. »Wenn wir dieses Subjekt als ›Menschheit‹ bezeichnen, dann gilt, daß die Menschheit nicht durch den Einzelnen zu erklären ist, sondern der Einzelne durch die Menschheit.« (Cassirer 2007, 105)
    Der Begriff der Humanität ist eine regulative Idee im kantischen Sinne, die den Aspekten der Pluralität, Variabilität und Geschichtlichkeit des Menschseins gerecht wird. Die Behauptung, dass Humanität nicht durch den Menschen, dieser aber durch den Gedanken der Humanität zu begreifen ist, wendet einen kritischen Impuls gegen jedweden materialistischen, biologischen, phänomenologischen oder existenzialphilosophischen Reduktionismus im anthropologischen Denken des 20. Jahrhunderts. Die Kulturphilosophie formuliert einen Begriff vom wirklichen Menschen, der sich wie das »animal symbolicum« (Cassirer) oder der »homo pictor« (Hans Jonas) oder der »homo creator« (Landmann) immer wieder von neuem in seinen Kulturschöpfungen verwirklicht.
[108] Kulturanthropologie
    Dem Begriff nach entwickelte sich die Kulturanthropologie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Volkskunde. Der Sache nach kann sie allerdings auf mehrere Herkunftsgeschichten verweisen. Neben der national gefärbten Kulturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und der geschichtsphilosophisch geprägten »historischen Schule« stehen die soziologisch-ethnologische Tradition von Emile Durkheim, Bronislaw Malinowski, Lucien Levy-Bruhl, Claude Lévi-Strauss und die Völkerpsychologie im Umkreis von Moritz Lazarus und Heymann Steinthal, auf der die Soziologie Simmels und die Kulturphilosophie Cassirers aufbauen. In der Kulturgeschichtsschreibung werden vornehmlich die Differenzen zwischen Völkern und Kulturen herausgearbeitet, um sie in ideologischer Zuspitzung als unüberwindbar zu charakterisieren. Erich Rothackers Schrift
Probleme der Kulturanthropologie
(1942) markiert die Summe dieser Denkrichtung. In den ethnologischen und völkerpsychologischen Theoriekonzepten geht es um eine Vergleichbarkeit der Kulturen und um die Herausarbeitung von anthropologischen Konstanten – Sprachfähigkeit, moralisches und rechtliches Gefühl, religiöses Erleben usw. In den ersten beiden Bänden von Cassirers
Philosophie der symbolischen Formen
(1923/1925) werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und für einen kulturtheoretischen Ansatz gebündelt.
    In der gegenwärtigen Diskussion über die Grundlagen der Kulturanthropologie oder »cultural anthropology« gilt die erstgenannte Denkrichtung als überwunden. Die grundsätzliche Vergleichbarkeit und Gleichwertigkeit aller Kulturformen ist als normative Position gesetzt. Angesichts der Pluralisierung des Kulturbegriffs im Kontext sprachwissenschaftlicher, völkerpsychologischer, soziologischer und ethnologischer Forschung, deren Ergebnisse die Kulturanthropologie resümiert, wird die Anerkennung der Vielfalt [109] kultureller Ausdrucksleistungen im interkulturellen Vergleich gleichsam vorausgesetzt. So gesehen haben sich die Aspekte der

Weitere Kostenlose Bücher