Phobia: Thriller (German Edition)
mit Deinen Fehlern. Denn sind es nicht letztlich unsere Fehler, die uns menschlich machen?
Sarah schüttelte den Kopf. Nein, sie konnte diese Entschuldigung nicht akzeptieren. Dass er in ihr Leben eingedrungen war, konnte sie ihm nicht verzeihen – ebenso wenig wie alles andere. Er hatte kein Recht dazu gehabt. Hätte er sie wirklich kennenlernen wollen, hätte es andere Wege gegeben. Der einfachste wäre gewesen, sie anzusprechen, wenn er sich wirklich so sehr für sie und ihre Persönlichkeit interessiert hätte. Und dabei hätte es keine Rolle gespielt, ob sie sich selbst etwas vorlog oder nicht. Er hätte es ihr sagen können. Stattdessen aber hatte er es sie auf die schlimmstmögliche Weise spüren lassen – und dafür hasste sie ihn.
Es lag nie in meiner Absicht, Dir Vorwürfe zu machen oder Dich für Dein Verhalten zu verurteilen. Ich wollte Dich zum Nachdenken bewegen, und ich hoffe sehr, dass mein Vorhaben nun geglückt ist.
O ja, du Mistkerl , dachte sie. Ich habe noch nie über so vieles auf einmal nachgedacht wie in den letzten Tagen. Das ist dir hervorragend geglückt.
Sie ließ den Brief auf ihren Schoß sinken und überlegte, ob es wirklich klug war, ihn zu lesen. Sie sollte sich jetzt lieber um sich selbst kümmern und darum, wie es für ihre Familie weitergehen sollte, statt sich die Worte eines offensichtlich Geisteskranken zu Gemüte zu führen, die sie nur wieder aufwühlten.
Denn das Schlimme an seinen Worten war, dass sie auch ein Quäntchen Wahrheit enthielten. Eine Wahrheit, die ihr wehtat und die sie sich allenfalls aus dem Mund eines guten Freundes hätte gefallen lassen. Wenn Gwen oder Mark auf diese Weise mit ihr gesprochen hätten, wäre es etwas anderes gewesen. Aber dieser Unbekannte war nicht ihr Freund gewesen, auch wenn er sich offenbar selbst dafür gehalten hatte.
Sie sollte diesen Brief einfach zusammen mit dem Zeitungspapier, dem Karton und dem merkwürdigen Puppenkopf in den Müll werfen, dachte sie. Das wäre die vernünftigste Art, mit dieser Angelegenheit umzugehen.
Aber irgendetwas hielt sie davon ab. Vielleicht war es Neugier, vielleicht mehr … Was es war, konnte sie nicht genau sagen. Sie wusste nur, wenn sie den Brief wirklich bis zum Ende lesen wollte, musste sie sich wappnen, sie musste ihn objektiv und distanziert betrachten – wie ein abgeschlossenes Kapitel ihrer eigenen Lebensgeschichte, denn dazu war dieser Unbekannte nun einmal geworden, ob sie wollte oder nicht.
Sie nahm die Seiten wieder auf.
Du wirst jetzt wütend auf mich sein. Jetzt, nachdem ich Dich durch Deine persönliche Hölle geschickt habe. Wenn dem so ist, kann ich es Dir nicht verdenken. Die Wahrheit schmerzt, und demzufolge musste ich Dir eine Menge Schmerzen zufügen. Nur so konnte ich Dich aus dem dunklen Versteck in Dir selbst hervorholen. Du wärst darin zugrunde gegangen, glaub mir, denn kein Mensch kann lange ohne die Wahrheit leben.
Doch trotz all Deines Zorns auf mich, bitte ich Dich nicht zu vergessen, wo Du jetzt meinetwegen stehst. Du hast bereits viel erreicht und bist Deinem inneren Gefängnis entkommen.
Ich bin überzeugt, wenn Du heute die Klinke Deiner Bürotür berühren würdest, wärst Du ohne Angst. Du hast Dich der Situation gestellt, hast Deiner Angst ins Gesicht geblickt und weißt nun, wie Du ihr begegnen musst. Denn das Einzige, was es zu fürchten gibt, ist die Furcht selbst.
Aber es ist noch nicht vorbei, Sarah. Auch wenn ich jetzt tot bin, gibt es noch eine letzte Lektion, die ich Dir erteilen werde, um das, was zwischen uns gewesen ist, zu einem Abschluss zu bringen. Unser gemeinsamer Weg wird noch eine letzte Gabelung erreichen, ehe ich Dich wieder Dir selbst überlasse. Du wirst eine Entscheidung zu treffen haben, die Dein weiteres Leben bestimmen wird.
Wieder legte sie den Brief beiseite. Diesmal jedoch nicht aus Wut, sondern wegen eines unguten Gefühls, das jetzt zu ihr in den Raum geschlichen war.
Wovon sprach dieser Kerl?
Wollte er ihr drohen?
Aber womit?
Sie überflog noch einmal die letzten Sätze.
… eine letzte Lektion …
… eine letzte Gabelung …
Was meinte er damit?
Gab es etwa noch etwas, wovon sie nichts wusste? Hielt dieser Mann noch eine letzte schreckliche Überraschung für sie bereit? Eine finale Heimsuchung aus dem Reich der Toten, um sie vollends zu zerstören?
Nein , dachte sie. Nein, das werde ich nicht zulassen!
Denn in einem Punkt musste sie ihm recht geben, wenn sie es auch ungern tat: Sie war an dieser
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