Phobia: Thriller (German Edition)
war. Und wie Sarah jetzt, hatte auch er anfangs obsessiv nach Anhaltspunkten gesucht, um den Täter zu überführen und somit wenigstens einen Teil seiner Sicherheit wieder zurückzuerlangen. Es hatte ihn aufgerieben, dass er nicht wusste, wer der Fahrer gewesen war. Mark hatte verstehen wollen, warum der Fahrer nicht gebremst hatte. Hatte er Tanja zu spät gesehen, oder war es ein heimtückischer Anschlag gewesen? Er wollte – er musste es einfach wissen, wenn er schon nichts mehr an Tanjas Tod ändern konnte.
Hätte er die Zusammenhänge verstanden, wäre es vielleicht einfacher für ihn gewesen, seine neue Situation zu bewältigen. Das hatte er zumindest gehofft. Denn die Ursache des Leids zu verstehen – ganz gleich, wie abwegig sie auch scheinen mag – ist der erste Schritt, um über das Leid hinwegzukommen.
So aber ließen ihm die vielen offenen Fragen keine Ruhe. Warum hatte ihn der Rufer Doktor genannt? Kannte er ihn, und wenn ja, woher? Gab es zwischen ihnen irgendeine Verbindung, von der Mark nichts wusste? Oder hatte der Mann Tanja damit gemeint? Hatte er sie gekannt, möglicherweise von früher?
Fragen über Fragen, aber keine Antwort.
Irgendwann hatte Mark angefangen, die Menschen in seinem Umfeld mit unverhohlenem Argwohn zu betrachten. Er hatte auf ihre Stimmen geachtet, auf alles, was ihm hätte verdächtig erscheinen können. Er hatte sich sogar in Garagen geschlichen, um nachzusehen, ob der Kleinwagen irgendeines Kollegen, mit dem er einmal eine Auseinandersetzung gehabt hatte, Spuren eines Unfalls aufwies. Doch es war aussichtslos. Er konnte sich ja nicht einmal an die Marke des Unfallwagens erinnern, geschweige denn an die Farbe – hell, vielleicht grau oder weiß.
Am Ende hatte er sich eingestehen müssen, dass ihn keine seiner Bemühungen, die Wahrheit herauszufinden, zu einem Ergebnis geführt hatte. Stattdessen hatte er höllische Qualen durchlitten und es schließlich aufgegeben – zuerst nur die Suche nach Antworten, aber irgendwann auch sich selbst.
Ähnlich musste es nun auch Sarah ergehen, als sie ihm die Räumlichkeiten zeigte, die bei ihrer Begegnung mit dem rätselhaften Eindringling eine Rolle gespielt hatten. Sie war aufgewühlt und geradezu besessen von der Vorstellung, dass sie gemeinsam eine Spur finden würden. Irgendetwas, das ihnen Aufschluss gab, um wen es sich bei dem Fremden in ihrer Küche handelte, und – noch viel wichtiger – was aus Stephen geworden war.
Denn im Gegensatz zu Mark durfte sie noch hoffen.
41.
Als sie ihren Rundgang beendet hatten, ließ Sarah sich in der Küche auf einen Stuhl sinken und rieb sich erschöpft übers Gesicht. Sie war bleich, hatte Schweißperlen auf der Stirn und zitterte am ganzen Leib. Es war, als habe es sie ihre letzte Kraft gekostet, Mark ihre unheimliche Begegnung bis ins Detail zu schildern.
»Immer wenn ich die Augen schließe, sehe ich Stephen vor mir«, flüsterte sie und starrte ins Leere. »Er ist verzweifelt und ruft irgendetwas. Aber ich kann seine Worte nicht hören. Ich sehe nur sein Gesicht. Es ist so voller Angst. Und dann ist er verschwunden, und ich weiß nicht wohin. Mein Gott, Mark, ich hoffe so sehr, dass er noch lebt!«
Mark entgegnete nichts. Er wusste genau, was in ihr vor sich ging.
Für eine kleine Ewigkeit herrschte Schweigen zwischen ihnen. Mark lehnte im Türrahmen und ließ im Geiste Revue passieren, was Sarah ihm gezeigt hatte.
Harveys Zimmer und sein Ausblick in den Garten.
Der Baum dicht am Haus, dessen Äste sich an der Scheibe wie knochige Finger angehört hatten.
Das Schlafzimmer und das Fenster, aus dem Sarah gesprungen war, um Hilfe zu holen.
Die Treppe und der Flur.
Die Stelle, an der Stephens Koffer mit dem Mantel gestanden hatte.
Der Garderobentisch, auf dem der Unbekannte Stephens Schlüsselbund abgelegt hatte, so wie Stephen selbst es immer tat.
Jetzt sah sich Mark in der Küche um. Hier war Sarah dem Narbenmann begegnet. Er hatte am Kühlschrank gestanden und war dabei gewesen, sich ein Sandwich zuzubereiten, an das er angeblich während seiner Autofahrt gedacht hatte.
Mark überlegte, warum der Mann das gesagt hatte. Warum hatte er vorgegeben, er hätte auf seinem Weg zu Sarah an die Mortadella im Kühlschrank denken müssen?
Es war wie eine Drohung. Ja, ich kenne dich , schien er damit zu sagen. Ich kenne dich , aber du kennst mich nicht. Und das gibt mir Macht .
Auf dem Küchentisch stand noch immer der Blumenstrauß in einer bauchigen Glasvase, und Mark fragte
Weitere Kostenlose Bücher