Phön - Tränen der Götter (Die Phön Saga) (German Edition)
nicht. Seine Kraft reichte gerade noch dazu aus den Kopf zu heben, um das Wesen zu erblicken, das auf ihn zu kam. Es hatte einen Arm von sich gestreckt und schien damit seinen Verstand im Griff zu halten. Bei jeder Bewegung zog das Wesen schwarze Schlieren in die Luft. Kalte Schauer liefen Lucius über den Rücken. Er schwitzte. Die meisten Wesen um ihn herum waren bereits verschwunden, schnell wie Schatten. Es schien, als sei er plötzlich alleine mit dem größeren Wesen. Plötzlich öffnete es die Hand und ließ von ihm ab. Lucius wurde nach hinten gerissen, öffnete den Mund und schnappte gierig nach Luft.
Nun erblickte er das Wesen erst in seiner vollen Größe. Es schien eine Art Gewand zu tragen, das mit seinem Körper verschmolzen war. Haut und Gewand waren schwarz, tiefschwarz wie ein Nachthimmel zu seiner schwärzesten Stunde. Doch die Haut des Wesens war zudem übersät mit verschnörkelten, blau schimmernden Runen. Es hatte zwar so etwas wie Füße, trotzdem schienen diese den Boden nicht zu berühren und sich stetig zu verformen. Unter dem Gewand, falls es ein Gewand war, konnte man den Ansatz von Brüsten erkennen, sodass Lucius' Verstand ihn nicht getäuscht hatte: Es schien sich um eine Frau zu halten. Ihr Gesicht, sofern man es erkennen konnte, war freundlich und gleichzeitig unerklärlich finster. Auch dieses war mit fluoreszierenden Runen übersät und die leuchtenden Augen schienen in eine, ihm unbekannte Weite zu blicken.
Was wollt Ihr in unserem Reich, Echo? Ihre Stimme war wie tausend Nadeln, die Lucius' mitten ins Gehirn stachen.Sie streckte erneut die Hand nach ihm aus. Da erblickte sie das Amulett, das um seinen Hals baumelte. Sie schreckte zurück. Die Träne der Schatten. Lucius hielt sich die Ohren zu, aber die Stimme drang nicht durch den Gehörgang zu ihm, sondern durch jegliche Poren seines Körpers. Steh auf... Das Wesen machte eine auffordernde Handbewegung und zeichnete dabei mystische Schlieren in den Raum. Langsam richtete sich Lucius auf. Mein Name ist Nokturna, Herrscherin über Kaligo und über die Dimension der Finsternis! Mit jedem Wort wurden die stechenden Nadeln in Lucius Kopf weniger und er schien sich an den Schmerz zu gewöhnen. Er überlegte.
Nokturna... Er hatte diesen Namen noch nie gehört.
Komm mit mir, wir haben einiges zu bereden.
Tempelstätte der Thohawk
Es dauerte einige Zeit bis sich Cora, Picardo, Lea und Azhad darauf geeinigt hatten, die Diskussion über die Entstehung der Welt und was hinter den Toren war, zu vertagen. Vorerst war es einzig und allein wichtig dem Bischof Einhalt zu gebieten. Leas Blicke wurden des Weiteren permanent von den Flüssigkeiten auf den Regalen abgelenkt. Sie konnte nur die Etiketten nicht lesen, sie waren wohl in der alten Sprache der Thohawk geschrieben.
»Lea?!« Cora stupste sie von der Seite an.
»Oh... ich... Entschuldige«, stotterte sie.
»Suchst du etwas?«, fragte Cora. Ihre Stimme klang zynisch. Sie glaubte zu wissen, wonach Cora Ausschau hielt. »Im Gordongdschungel gab es keine Einhörner, es tut mir Leid.« Lea riss die Augen auf und fühlte sich ertappt. Es war ihr fast etwas peinlich das Wohlergehen der Welt als weniger wichtig zu betrachten, als das Leben eines Einzelnen. Aber sie wollte nichts außer Acht lassen.
»Lea, finde dich damit ab... Ich weiß es ist schwer!«, versuchte Cora die Prinzessin zu trösten. Lea nickte. Sie wusste, Cora hatte Recht.
»Wir sollten zurück!«, sagte Azhad plötzlich.
»Ja...« Lea versuchte sich zusammenzureißen. Schließlich waren sie und ihre Kräfte nun immens wichtig für die kommende Schlacht. Cora ging voraus, hinaus in die Bibliothek. Azhad folgte ihr. Nur Lea ließ ihre Blicke ein letztes Mal durch den Raum schwenken. Sie seufzte. Plötzlich trat Picardo neben sie und nahm ihre Hand.
»Hier!« Er legte ihr einen kleinen, schwarz und weiß getüpfelten, eiförmigen Stein in die Hand. »Das hab ich gefunden! Vielleicht ist es ein kleiner Trost!« Lea schaute den kleinen Kerl an, der ihr immer mehr ans Herz wuchs, und drückte ihn an sich. Seine kindliche Naivität rührte sie. Es war zwar nur ein schöner Stein, aber sie wusste diese Geste zu schätzen. »Danke Picardo!«
Dann strich sie ihm durch die Haare und ging hinaus in den Gang.
Archadis, ehem. königliches Schloss
Es war mitten in der Nacht, dennoch taghell und Bischof Kahn saß auf dem ehemaligen Thron des Königs. Das Zepter hielt er fest in seiner Hand. An Schlaf war nicht zu denken. Seine
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