Phön - Tränen der Götter (Die Phön Saga) (German Edition)
gealtert sein, als sie selbst. Aber Cora wusste, dass er trotz allem noch jünger sein musste als sie. Dabei war sie sich über ihr eigenes Alter gar nicht genau im Klaren. Man muss wissen, dass im Wald der Urugai die Zeit nicht ihren gewohnten Lauf nahm, sondern, dass diese sich hier etwas langsamer bewegt als außerhalb des Waldes. So hat es für Außenstehende den Anschein, als altere das Volk der Urugai viel langsamer.
Cora formte ihre Hände zu einem Trichter und schöpfte etwas Wasser aus der glasklaren Quelle. Sie spritzte es sich ins Gesicht und machte einige blubbernde Geräusche.
»Cora!«, erhob sich eine kratzige Stimme hinter ihr. Es war Feghnom der Dorfälteste.
»Herr Feghnom?!«, begrüßte ihn Cora und wischte sich das Wasser mit den Unterarmen aus dem Gesicht. Dann drehte sie sich zu dem alten Herrn mit der grünen Hautfarbe. »Was kann ich für Sie tun?« Sie ging halb in die Knie und schaute unterwürfig zu ihm hinauf. Er war ein großer Mann, der aber aufgrund seines Alters nicht mehr ganz so gerade stehen konnte wie früher und daher in eher gebückter Haltung verharrte.
»Steh auf Cora!«, forderte er sie auf und machte eine Handbewegung nach oben. Cora hatte großen Respekt vor dem Mann, der sie damals vor dem sicheren Hungertod bewahrt und ihr den Weg nach Uru, dem Dorf der Urugai, gezeigt hatte. »Du bist ein gutes Kind! Du hast viele gute Dinge vollbracht, in der Zeit in der du bei uns warst.«
»Nun ja...«, warf Cora ein, wurde aber sofort unterbrochen. »Komm mit, ich will dir etwas zeigen!« In der hölzernen Hütte des Dorfältesten roch es wie immer nach getrockneten Goschmuschbeeren, Maganolia und anderen seltsamen Kräutern, deren Bedeutung sich den meisten Völkern verschloss. In einer Ecke des Hauses, das komplett aus Buschwerk erbaut war, saß ein Mann mit roten, abstehenden Haaren, einem Dreitagebart und Lederkluft.
»Gamadas... wie geht es dir?«, fragte Feghnom und setzte sich neben ihn auf einen kleinen Hocker.
»Ich freue mich, Euch so wohlbehalten zu sehen, Gamadas«, sagte Cora und trat näher.
Gamadas nickte. »Iselia und ich versuchen noch immer verzweifelt einigen eurer Leute die Magie etwas näher zu bringen, aber der Erfolg lässt zu wünschen übrig!« Feghnom lächelte.
»Urugai sind eben kein Volk der Magie!«, folgerte er karg. »Aber genug der Plauderei.« Der alte Mann erhob sich, legte seine Hände auf Coras Schultern und sah ihr tief in die Augen.
»Cora! Blicke in Gamadas' Augen. Der Tag ist gekommen!«, sagte er.
»Ich... ich verstehe nicht!« Cora stammelte etwas wirr, was sonst nicht ihre Art war.
»Schau tief hinein, Cora!«, meinte Gamadas und zog sie langsam zu sich. Er öffnete seine Augenlider soweit es ging und blickte in ihre klaren, hellblauen Augen. Im selben Moment verspürte Cora ein Ohnmachtsgefühl und ihre Sinne begannen zu verschwimmen. Sie hielt sich den Kopf, um nicht vornüber zu kippen, versuchte jedoch den Blick nicht von Gamadas abzuwenden. Ihre Sinne begaben sich auf eine Reise.
»Was siehst du?«, fragte Feghnom leise.
»Ich... ich sehe...«, stammelte Cora, wurde benommen und geriet in eine Art Trance. Sie schien selbst nicht wahrzunehmen, was sie von sich gab. »Ich sehe eine weiße Festung mit himmelhohen Türmen...«, sagte sie. »Ich sehe... den Bischof! Er hat das lichte Zepter... das ist unmöglich... Ich...« Cora wippte hin und her, das Gewirr aus Farben und Licht, das von Gamadas ausging, spiegelte sich in ihren Augen wider. »Ich sehe... drei... NEIN«, revidierte sie. »Es sind vier Personen! Ein kleiner Junge, eine junge Frau, ein Mann, gekleidet wie das archadische Militär. Ich kenne ihn... und...«, sie stockte kurz. »Ich sehe noch eine weitere Person... Ich... es ist nur ein Schatten, ich kann sein Gesicht nicht erkennen!«, stammelte Cora. Feghnoms Befürchtungen hatten sich bestätigt. Er nickte still vor sich hin.
»Cora, erkennst du den kleinen Jungen?«, fragte er sanft.
»Das... das ist nicht möglich!« Ihr wurde heiß. »Aeris!!« Ruckartig zuckte sie zurück und schloss ihre Augen. Sie wischte sich mit der flachen Hand den Schweiß von der Stirn und blickte zum Dorfältesten. »Das war mein Bruder! Die Bilder waren unscharf, aber er hatte die Ohren eines männlichen Thohawk und er ist auf dem Weg zum Schrein!« Gamadas stand auf und hielt seine Augen dabei geschlossen. Durch die Ornamente auf seinen Lidern schien es jedoch, dass er auch mit geschlossenen Augen in die Seele jedes Lebewesens
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