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Phönix

Phönix

Titel: Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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ich meinen Fluchtweg durch die Küche zurück nach draußen, um den Palast herum und wieder in mein Versteck.
    »Also, wie sieht es aus, Boß?«
    »Anscheinend ist alles in Ordnung, Loiosh. Morgen machen wir es.«
    Die restliche Nacht verbrachte ich damit, mir die Landschaft im Dunklen einzuprägen, damit ich mich so weit wie möglich entfernen konnte, und als der Himmel sich allmählich aufhellte, wickelte ich mich in meinen Umhang und schlief ein.
     
     
    In Dragaera war einmal, so sagt man, ein Schmied der Serioli, der auf Bitten der Götter eine Diamantenkette machte, die so lang war, daß sie über die Himmelskuppe hinausreichte, und so stark, daß die Götter sie benutzten, um den Himmel obenzuhalten, wenn sie selbst keine Lust mehr dazu hatten. Eines Tages nahm sich eine der Göttinnen einen Diamanten als Hochzeitsgeschenk für einen Sterblichen, nach dem sie sich verzehrte, und die ganzen übrigen Diamanten flogen in die Himmel davon, und seither halten die Götter den Himmel selbst hoch. Sie konnten die Göttin, die das getan hatte, nicht bestrafen, denn dann würde der Himmel herabfallen, deshalb ließen sie es an dem Schmied aus, den sie in einen Chreotha verwandelten, auf daß er ewig durch die Wälder streift und, nun ja, ihr versteht mich.
    Ich erwähne das, weil es mir durch den Kopf ging, als ich im Wald hockte und versuchte, wachsam zu bleiben, falls sich irgendwer näherte, und dabei überlegte, daß ich nur aus einem Grund auf dieser Insel war, nämlich weil meine persönliche Göttin mich hergeschickt hatte. Außerdem kam mir wieder in den Sinn, daß dies mein erster Mord an jemandem außerhalb der Organisation sein würde. Und wie es so ist, während ich eine moralische Krise durchmachte, die einem Attentäter keineswegs dazwischenfunken sollte, gefiel mir die Sache nicht sonderlich. Irgendwie machte es mir langsam Sorgen, daß ich für Geld Leben nahm. Ich bin nicht sicher, warum.
    Oder vielleicht doch, jetzt, wo ich alles aus einem Blickwinkel von der anderen Seite des Meeres betrachte (metaphorisch gesprochen). Ich glaube, jeder kennt jemanden, dessen Meinung ihm besonders wichtig ist. Will sagen, im Hinterkopf lebt so ein Bild, und manchmal ertappt man sich dabei, wie man sagt: »Würde er das gutheißen?« Und falls die Antwort ein Nein ist, kriegt man so ein mulmiges Gefühl, wenn man es doch tut. In meinem Fall war dies übrigens nicht meine Frau, auch wenn es sehr weh tat, daß sie im Laufe zweier Jahre von einer fähigen Attentäterin zu einer Politikerin geworden war, die einen Rettet-die-Getretenen-Komplex von der Größe meines Egos entwickelt hatte. Nein, es war mein Großvater väterlicherseits. Ich hatte schon lange vermutet, daß er nichts von Auftragsmorden hielt, aber in einem Augenblick der Schwäche habe ich ihn direkt danach gefragt, und er sagte es mir, gerade als der ganze andere Unsinn am Laufen war, und plötzlich war ich mir bei Dingen unsicher, die bis dahin grundlegend gewesen waren.
    Wo blieb ich dabei? Versteckt in einem Dickicht auf einer seltsamen Insel überlegte ich, wie ich jemandem das Leben nehmen sollte, den ich nicht einmal kannte, jemandem, der nicht der Organisation und ihren Gesetzen unterworfen war, und das nur, weil meine Göttin es mir gesagt hatte. Wir Menschen glauben, was ein Gott dir zu tun befiehlt ist per Definition das Richtige. Dragaeraner halten nichts davon. Ich war ein Mensch, der in der Gesellschaft der Dragaeraner aufgewachsen war, und das sorgte für einiges Unwohlsein.
    Ich riß einen Grashalm aus und kaute darauf herum. Die Bäume vor mir bogen sich alle nach rechts, als wären sie jahrelangem Wind ausgesetzt gewesen. Ihre Borke war weich, ein ungewöhnlicher Effekt, und aus den unteren fünf bis sechs Metern wuchsen keine Äste, dann explodierten sie plötzlich wie Pilze, voller dicker grüner Blätter, die flüsterten, wenn der Wind durch sie fuhr. Hinter mir wuchsen die typischen Drill-Lenden, ungefähr so hoch wie ich, in einem Haufen, als würden sie sich unterhalten, und mit ihren sehnigen Körpern auf den albern aus der Erde ragenden Wurzeln hatte man den Eindruck, sie würden sich jeden Moment umdrehen und weglaufen. Cawti hatte ein Kleid aus Drill-Lendengarn. Sie hatte den Faden eigenhändig gezogen, nachdem sie im Spätsommer einen ganzen Hain davon entdeckt hatte, gerade als sie die Farbe von Hellgrün in Karminrot änderten, so daß das Gewand, ein fließendes, weites Stück mit weißer Spitze um die Schultern, unten

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