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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Luft, die vom Flusse heraufkommt, ist eisig kalt und nicht gut für uns.«
    »Ich glaube nicht, daß sie uns gefährlich sein kann,« antwortete ich.
    »Vielleicht. Aber einerlei, gehen wir hinein.«
    »Sie wünschen das also aus Rücksicht auf mich? Ohne Zweifel wollen Sie mich gegen die Gefahr der Eindrücke eines solchen Spazierganges schützen – vor den Folgen, die er ... für mich ... allein ... haben kann?«
    »Sie sind bescheiden! rief sie lachend, »und trauen mir ein eigentümliches Zartgefühl zu.«
    »Meinen Sie? Aber da Sie es so auffassen, so wollen wir hineingehen. Ich verlange es.«
    Unbeholfene Bemerkungen! Aber man muß sie zwei Menschen verzeihen, die sich bemühen, etwas ganz anderes zu sagen, als was sie denken!
    Sie zwang mich also, nach dem Schlosse umzukehren. Ich weiß nicht, oder wußte wenigstens in jenem Augenblick nicht, ob sie mit diesem Entschluß sich selber Gewalt antat; ob sie nach einem wohlerwogenen Vorsatz handelte; oder ob sie meinen Kummer darüber teilte, daß eine so schön begonnene Szene auf solche Weise endigen sollte. Jedenfalls verlangsamten sich wie auf einen gegenseitigen instinktmäßigen Antrieb unsere Schritte, und wir gingen traurig dahin, unzufrieden miteinander und mit uns selber. Wir wußten nicht, an wen und an was wir uns halten sollten. Niemand von uns beiden hatte ein Recht, etwas zu fordern oder auch nur zu erbitten. Wir hatten nicht einmal den Trost, uns einen Vorwurf machen zu können. Welche Erleichterung wäre für uns ein kleiner Streit gewesen! Aber wo sollten wir den hernehmen? Inzwischen kamen wir dem Schlosse näher, wobei wir an weiter nichts dachten, als wie wir uns der Pflicht entziehen könnten, die wir in so ungeschickter Weise uns selber auferlegt hatten. Wir waren schon dicht an der Tür, als Frau von T. zu mir sagte:
    »Ich bin mit Ihnen nicht zufrieden! Ich zeige Ihnen ein solches Vertrauen, und Sie gewähren mir gar keins! Kein Wort haben Sie mir von der Gräfin gesagt! Und doch ist es so süß, von dem zu sprechen, was man liebt! Ich hätte mit solchem Interesse Ihnen zugehört! Das wäre ja auch das Geringste gewesen, was ich hätte tun können, nachdem ich Sie Ihrer Geliebten beraubt habe ...«
    »Kann ich denn nicht denselben Vorwurf Ihnen machen?« rief ich, sie unterbrechend. »Und wenn Sie, statt mich zum Vertrauten dieser merkwürdigen Versöhnung mit Ihrem Gatten zu machen, wobei ich eine so sonderbare Rolle spiele – wenn Sie statt dessen mit mir vom Marquis gesprochen hätten ...«
    »Halt!« rief sie. »Wenn Sie die Frauen nur ein bißchen kennen, so wissen Sie, daß man geduldig warten muß, um von ihnen Geständnisse zu erlangen ... Kommen wir wieder auf Ihre Angelegenheiten! Sind Sie mit meiner Freundin wirklich zufrieden? Ach, ich fürchte das Gegenteil.«
    »Aber warum, Madame, alles glauben, was das Publikum in seiner Klatschsucht zu verbreiten liebt?«
    »Lassen Sie nur das Heucheln! ... Die Gräfin ist weniger geheimnisvoll als Sie. Frauen ihrer Art sind verschwenderisch mit den Geheimnissen der Liebe und ihrer Anbeter, besonders wenn der Anbeter diskret ist wie Sie, so daß ihr Triumph geheim bleiben würde. Ich bin weit davon entfernt, sie der Koketterie anzuklagen; aber eine Spröde ist nicht weniger eitel als eine Kokette. Also, offen heraus damit: haben Sie sich über nichts zu beklagen?«
    »Aber, Madame, die Luft ist wirklich zu eisig kalt, um noch hier bleiben zu können!« sagte ich lächelnd. »Sie wollten doch hineingehen?«
    »Finden Sie? Das ist ja merkwürdig! Die Luft ist ganz warm.«
    Sie hatte wieder meinen Arm genommen, und wir gingen wieder weiter, ohne daß ich bemerkte, welchen Weg wir einschlugen. Was sie mir über ihren Liebhaber gesagt hatte, den sie, wie ich wußte, besaß; was sie mir über meine Geliebte sagte; dann die Reise, die Szene im Wagen, die auf der Rasenbank, die Nachtstunde, das Dämmerlicht – alles brachte mich in Verwirrung. Meine Eitelkeit, meine Wünsche rissen mich fort, aber die Überlegung hielt mich zurück; vielleicht war ich auch zu aufgeregt, um mir über meine Empfindungen Rechenschaft geben zu können. Während ich die Beute so verworrener Gefühle war, sprach sie fortwährend mit mir von der Gräfin, und mein Schweigen war eine Bejahung dessen, was sie mir über sie sagte. Einige auffallende Bemerkungen brachten mich jedoch wieder zu mir.
    »Wie ist sie fein!« sagte sie. »Welche Anmut ist ihr eigen! Eine hinterlistige Bemerkung aus ihrem Munde sieht aus wie ein

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