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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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einzog, wie ruhige Gedanken in mir aufkeimten und die gewohnte Ordnung einnahmen, und ich atmete endlich wieder auf. Die erste Frage, die ich mir vorlegte, lautete: was bin ich der Frau, von der ich eben komme? Ich hatte ja bestimmt zu wissen geglaubt, daß sie schon seit zwei Jahren eine leidenschaftliche Liebe zum Marquis V. hegte. Sollte sie mit ihm gebrochen haben? Hat sie mich zum Nachfolger für ihn genommen oder hat sie ihn nur strafen wollen? Welch eine Nacht! Welch ein Abenteuer! Aber was für eine entzückende Frau!
    Während ich im Strome dieser Gedanken trieb, hörte ich neben mir ein Geräusch. Ich schlug die Augen auf, ich rieb sie mir, ich wollte ihnen nicht trauen ... Wer war's?
    Der Marquis!
    »Du erwartetest mich vielleicht nicht so früh, nicht wahr?« fragte er mich. »Na, wie ist es denn abgelaufen?«
    »Du wußtest also, daß ich hier sei?« rief ich ganz verblüfft.
    »Ei natürlich! Man hat es mir im Augenblick der Abfahrt sagen lassen. Hast du deine Rolle gut gespielt? Hat der Herr Gemahl deine Ankunft recht lächerlich gefunden? Hat sie ihn recht verschnupft? Ist der Liebhaber seiner Frau ihm ein Greuel? Wann schickt man dich fort? Weißt du, ich habe für alles vorgesorgt; ich habe dir einen guten Wagen hergebracht, er steht zu deiner Verfügung. Wiedervergeltung vorbehalten, lieber Freund! Rechne auf mich, denn für solche unangenehmen Dienste ist man dankbar.«
    Diese letzten Worte gaben mir die Lösung des Rätsels, und ich fühlte, welche Rolle ich zu spielen hatte. Ich sagte daher:
    »Aber warum kommst du denn so früh? Es wäre doch vorsichtiger gewesen, noch zwei Tage zu warten.«
    »Alles ist vorgesehen; was mich hierher führt, ist der reine Zufall. Man glaubt, ich sei hier in der Nähe auf dem Lande gewesen und jetzt auf dem Rückwege. Aber hat dich denn Frau von T. nicht in alles eingeweiht? Diesen Mangel an Vertrauen finde ich nicht recht von ihr, nach allem, was du für uns getan hast!«
    »Mein lieber Freund, sie hatte wohl ihre Gründe! Vielleicht hätte ich sonst meine Rolle nicht so gut gespielt.«
    »Ist denn alles recht lustig gewesen? Erzähle mir alle Einzelheiten, erzähle doch!«
    »Oh, einen Augenblick. Ich wußte nicht, daß es eine Komödie sei, und obwohl Frau von T. mich in ihrem Stück hat auftreten lassen ...«
    »Du hattest keine schöne Rolle darin zu spielen.«
    »Ach, darüber beruhige dich nur! Für gute Schauspieler gibt es keine schlechten Rollen.«
    »Ich verstehe – du hast dich gut herausgewickelt.«
    »Vorzüglich.«
    »Und Frau von T.?«
    »Anbetungswürdig!«
    »Begreifst du, wie man eine solche Frau hat beständig machen können?« sagte er, indem er stillstand, um mich mit einer triumphierenden Miene anzusehen. »Oh! was habe ich mir um sie für Mühe gemacht! Aber ich beherrsche jetzt ihren Charakter in solchem Maße, daß es vielleicht in ganz Paris keine Frau gibt, auf deren Treue man so unverbrüchlich zählen kann.«
    »Es ist dir gelungen ...«
    »Oh! Das ist mein ganz besonderes Talent. Ihre ganze Unbeständigkeit war nichts weiter als Frivolität, Zügellosigkeit der Einbildungskraft. Diese Seele mußte in Besitz genommen werden. Du hast aber auch keine Ahnung, wie sehr sie an mir hängt. Aber wirklich – ist sie nicht reizend?«
    »Das gebe ich zu.«
    »Na, unter uns – ich kenne nur einen einzigen Fehler an ihr: die Natur, die ihr alles geschenkt hat, hat ihr jene göttliche Flamme versagt, die der Höhepunkt aller ihrer Gaben ist. Sie läßt alle Gefühle entstehen und wachsen und empfindet selbst nichts. Sie ist ein Marmorbild.«
    »Ich muß dir da glauben, denn ich selber kann ja nicht darüber urteilen. Aber weißt du – du kennst diese Frau, wie wenn du ihr Mann wärest! Man könnte euch wirklich verwechseln. Wenn ich nicht gestern mit dem echten zu Abend gegessen hätte ... ich hielte dich für ...«
    »Übrigens, ist er denn anständig gewesen?«
    »Oh! Ich bin empfangen worden wie ein Hund.«
    »Ich begreife. Nun, wir wollen hineingehen und Frau von T. aufsuchen; sie muß doch schon zu sehen sein.«
    »Aber müßten wir nicht anständigerweise zuerst zu ihrem Mann gehen?« sagte ich.
    »Du hast recht, aber gehen wir erst auf dein Zimmer! Ich will mich ein wenig frisch pudern lassen – und sage mir doch, hat er dich auch wirklich für einen Liebhaber genommen?«
    »Du wirst nach dem Empfang selber darüber urteilen können; aber wir wollen doch jetzt auf der Stelle zu ihm gehen.«
    Ich wollte es vermeiden, ihn in ein Zimmer

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