Physiologie der Ehe (German Edition)
Witz; eine Untreue scheint von der Vernunft geboten, scheint ein Opfer zu sein, das sie dem Anstand bringt; niemals läßt sie sich gehen, stets ist sie liebenswürdig; von Charakter galant, aus Grundsatz spröde; lebhaft, vorsichtig, gewandt, leichtsinnig; ein Proteus in ihren Formen, eine Grazie in ihrem Benehmen; sie zieht an, sie entschlüpft. Wie viele Rollen habe ich sie spielen sehen! Unter uns: wie viele Gimpel sind um sie herum! Wie hat sie sich über den Baron lustig gemacht, welche Streiche hat sie dem Marquis gespielt! Als sie Sie als Liebhaber annahm, wollte sie damit die Aufmerksamkeit der beiden andern voneinander ablenken: diese wollten nämlich Lärm schlagen; denn sie hatte sie zu sehr geschont, und sie hatten Zeit gehabt, sie zu beobachten. Aber da schob sie Sie vor, beschäftigte die Herren mit Ihnen, veranlaßte sie zu neuen Nachforschungen, brachte Sie zur Verzweiflung, beklagte Sie, tröstete Sie ... Ah! wie glücklich ist eine gewandte Frau, wenn sie bei einem solchen Spiel alle Gefühle aufbietet, aber von dem ihrigen nichts dazu gibt. Aber freilich – ist dies wirklich das Glück?«
Dieser letzte Ausruf, den sie mit einem vielsagenden Seufzer begleitete, war ihr Meisterstück. Ich fühlte eine Binde von meinen Augen fallen, ohne zu sehen, daß sie mir eine neue Binde anlegte. Meine Geliebte erschien mir als die Allerfalscheste der Frauen, und ich glaubte endlich das lange gesuchte, gefühlvolle Wesen gefunden zu haben. Und da seufzte auch ich, ohne zu wissen, was dieser Seufzer bedeuten sollte. Sie schien sich zu ärgern, daß sie mich betrübt und sich zu einer Schilderung hatte hinreißen lassen, die verdächtig erscheinen konnte, da sie von einer Frau entworfen war. Ich antwortete, ich weiß nicht mehr was; denn ohne daß ich von allem, was ich hörte, etwas begriff, kamen wir ganz unvermerkt auf die breite Heerstraße des Gefühls, und wohin uns diese Wanderung führen würde, das konnten wir beide nicht voraussehen. Glücklicherweise führte diese Straße zugleich auch zu einem Pavillon, den sie mir am Ende der Terrasse zeigte. Dieser Pavillon war Zeuge der süßesten Augenblicke gewesen. Sie schilderte mir alle Einzelheiten der Einrichtung. Wie schade, daß wir nicht den Schlüssel dazu hätten! Fortwährend plaudernd kamen wir an den Pavillon heran, und es stellte sich heraus, daß er offen war. Er entbehrte der Helligkeit des Tages, aber auch die Dunkelheit hat ihre Reize. Wir schauerten zusammen, als wir ihn betraten ... Er war ein Allerheiligstes; sollte er das Allerheiligste der Liebe werden? Wir setzten uns auf ein Kanapee und saßen einen Augenblick still und horchten auf die Pulsschläge unserer Herzen. Mit dem letzten Strahl des Mondlichtes entschwanden viele Bedenken. Die Hand, die mich zurückstieß, fühlte mein Herz schlagen. Sie wollte fliehen; sie sank nur um so zärtlicher zurück. Wir unterhielten uns in dem tiefen Schweigen in der Sprache des Gedankens. Nichts ist entzückender als solche stummen Unterhaltungen. Frau von T. flüchtete sich in meine Arme, verbarg ihr Haupt an meinem Busen, seufzte und beruhigte sich an meinen Liebkosungen; sie wurde traurig, tröstete sich und verlangte von der Liebe alles zurück, was die Liebe ihr geraubt hatte. Der Fluß unterbrach die Stille der Nacht durch ein sanftes Rauschen, das zu dem Pochen unserer Herzen stimmte. Die Finsternis war zu dicht, um etwas genau erkennen zu können; aber unter den schwarzen Schleiern einer schönen Sommernacht erschien die Königin dieses schönen Ortes mir anbetungswürdig.
»Ach!« sagte sie zu mir mit einer Himmelsstimme; »fort von diesem gefährlichen Ort ... man hat hier keine Kraft zum Widerstande.«
Sie zog mich mit sich fort, und wir entfernten uns mit zögernden Schritten.
»Ah! Wie glücklich ist sie!« rief Frau von T.
»Wer denn? sagte ich.
»Habe ich denn etwas gesagt?« rief sie erschreckt.
An der Rasenbank blieben wir unwillkürlich wieder stehen.
»Welch eine riesige Entfernung«, sagte sie zu mir »zwischen diesem Ort und dem Pavillon?«
»Nun?« rief ich, »soll denn diese Bank mir immer verhängnisvoll sein? Ist es ein Gewissensbiß, ist es ...?«
Ich weiß nicht, welche Zauberkraft dabei im Spiel war, aber die Unterhaltung nahm eine andere Richtung und wurde weniger ernsthaft. Die Dame wagte sogar, über die Freuden der Liebe zu scherzen, zu behaupten, daß die Moral damit nichts zu tun habe, sie auf ihren einfachsten Ausdruck zurückzuführen, und nachzuweisen,
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