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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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daß Gunstbezeigungen nur ein Vergnügen seien; daß man damit, im philosophischen Sinne, keine weitern Verpflichtungen eingehe, als man sie dem Publikum gegenüber habe, indem man dieses in seine Geheimnisse eindringen lasse und ihm gegenüber Indiskretionen begehe.
    »Welch eine wonnige Nacht«, sagte sie, »haben wir zufällig gefunden! Nun, wenn gewisse Gründe – und ich vermute es – uns zwingen sollten, morgen uns zu trennen, so würde von unserm Glück in der ganzen Natur keine Seele etwas wissen, und wir brauchten kein einziges Band wieder zu lösen. Vielleicht würden wir einiges Bedauern empfinden, aber dafür würde eine angenehme Erinnerung eine Entschädigung bieten; und wirklich, wir haben nur Annehmlichkeit genossen ohne alle die Verzögerungen und tyrannischen Widerwärtigkeiten, denen man im Getriebe der Welt ausgesetzt ist ... Oh, diese schöne Nacht! Diese herrliche Gegend! Sie hat sich mit neuen Reizen umkleidet. Oh, niemals wollen wir diesen Pavillon vergessen ... Das Schloß birgt«, sagte sie lächelnd, »einen noch entzückenderen Ort. Aber man kann Ihnen ja nichts zeigen: Sie sind wie ein Kind, das alles anfassen will und alles zerbricht, was es anfaßt.«
    Ich protestierte, von einem Gefühl von Neugier erfaßt, und versprach, artig zu sein. Sie ließ aber das Gespräch fallen und fuhr fort:
    »Diese Nacht wäre für mich von fleckenloser Schönheit, wenn ich mich nicht über mich selbst ärgerte, daß ich vorhin über die Gräfin so mit Ihnen gesprochen habe. Nicht daß ich mich über Sie beklagen wollte. Das Neue reizt. Sie haben mich liebenswürdig gefunden, und ich glaube gern, daß diese Ihre Empfindung aufrichtig war. Aber die Herrschaft der Gewohnheit zu zerstören erfordert eine lange Zeit, und ich besitze nicht dieses Geheimnis. – Übrigens, wie finden Sie meinen Mann?«
    »Na, ich finde ihn recht mürrisch; jedenfalls könnte er gegen mich kaum mürrischer sein.«
    »Oh, das ist wahr, sein Benehmen war nicht liebenswürdig; er hat Sie nicht mit kaltem Blut in meiner Gesellschaft gesehen. Unsere Freundschaft würde ihm verdächtig werden.«
    »Oh! Sie ist ihm schon verdächtig.«
    »Gestehen Sie, daß er recht hat. Verlängern Sie darum auch nicht diese Reise. Er würde ärgerlich darüber werden. Sobald Gesellschaft kommt, und« – sagte sie lächelnd – »es wird welche kommen ..., so reisen Sie ab. Übrigens haben Sie Rücksichten zu beobachten ... Und dann, erinnern Sie sich, was für ein Gesicht mein Herr Gemahl machte, als Sie sich gestern von uns verabschiedeten!«
    Ich war geneigt, in diesem ganzen Abenteuer eine Falle zu sehen; doch als sie sah, welchen Eindruck ihre Worte auf mich machten, da fügte sie hinzu:
    »Oh, er war lebenslustiger, als er das Kabinett einrichten ließ, wovon er mit Ihnen sprach. Dies war vor meiner Heirat. Dieser Schlupfwinkel stößt an meine Gemächer an. Leider ist er nur ein Zeugnis für die künstlichen Hilfsmittel, deren Herr von T. bedurfte, um seinem Gefühl neue Kraft zu verleihen.«
    »Welch ein Spaß,« sagte ich, von der Neugier, die sie in mir erweckte, lebhaft angeregt, »welch ein Spaß wäre es, in diesem Kabinett den Schimpf zu rächen, der Ihren Reizen angetan worden ist, und Ihnen zurückzuerstatten, um was man sie bestohlen hat!«
    Sie fand diesen Vorschlag nach ihrem Geschmack; aber sie sagte:
    »Sie hatten mir versprochen, artig zu sein!«
    Ich breite einen Schleier über Tollheiten, die auch das Alter der Jugend verzeiht, da es sich erinnert, wie es selber einst war, und wie viele Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Am Morgen sagte mir Frau von T., schöner denn je, indem sie kaum ihre feuchten Augen aufschlug:
    »Nun, werden Sie jemals die Gräfin so sehr lieben wie mich?«
    Ich wollte antworten, als eine Vertraute erschien und mir zurief:
    »Fort, fort! Es ist heller Tag, es ist elf Uhr, und man hört im Schlosse bereits Lärm.«
    Alles verschwand wie ein Traum. Als ich wieder zum Bewußtsein meiner Sinne kam, fand ich mich in den Korridoren des Schlosses umherirrend. Wie sollte ich mein Zimmer wiederfinden, das ich gar nicht kannte? Jedes Versehen wäre eine Indiskretion gewesen. Ich beschloß, so zu tun, als hätte ich einen Morgenspaziergang gemacht. Die Kühle und die reine Luft beruhigten allmählich meine Phantasie und brachten mich aus dem Reich des Wunderbaren auf die Erde zurück. Ich sah nicht mehr eine verzauberte Natur, sondern nur noch eine naive Natur. Ich fühlte, wie die Wahrheit wieder in meine Seele

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