Physiologie der Ehe (German Edition)
er seinen Zorn sich besänftigen, und es quälte ihn nur noch eins, nämlich der Zwang, den er sich antun mußte, um sein Lachen zu verbergen.
Aber je mehr Fackeln man in die ungeheure Höhle hineinwirft, die wir aufzuhellen versuchen, desto tiefer wird man sie finden. Es ist ein bodenloser Abgrund. Wir glauben unsere Aufgabe auf eine angenehmere und lehrreichere Art zu erfüllen, indem wir die strategischen Prinzipien nachweisen, die in Tätigkeit treten, wenn die Frau es bereits zu einem hohen Grade ihrer sündhaften Kunst gebracht hat. Aus einem Beispiel begreift man mehr Grundsätze und lernt man mehr Hilfsmittel, als aus allen möglichen Theorien.
Eines Tages waren beim Fürsten Lebrun einige intime Freunde an der Tafel versammelt. Vom Champagner angeregt, kamen die Gäste auf das unerschöpfliche Kapitel: Weiberlist. Die Unterhaltung war von dem neuesten Abenteuer ausgegangen, das man von der Gräfin R. D. S. I. D. A. erzählte und das ein Halsband betraf.
Ein schätzenswerter Künstler und Gelehrter, der ein Liebling des Kaisers gewesen war, vertrat nachdrücklich die nicht eben mannhafte Meinung, daß es einem Mann nicht möglich sei, erfolgreich gegen die von einer Frau angesponnenen Intrigen anzukämpfen.
»Ich habe glücklicherweise erlebt,« sagte er, »daß Ihnen nichts heilig ist.«
Die Damen protestierten.
»Aber ich könnte eine wahre Geschichte anführen.«
»Das ist eine Ausnahme!«
»Hören wir doch die Geschichte!« sagte eine junge Dame.
»O ja! Erzählen Sie sie uns doch!« riefen alle Gäste.
Der vorsichtige alte Herr ließ seine Augen um sich schweifen und sagte lächelnd, nachdem er sich über das Alter der Damen vergewissert hatte:
»Da wir alle schon eigene Erfahrungen im Leben gemacht haben, so bin ich bereit. Ihnen die Geschichte zu erzählen.«
Es entstand ein tiefes Schweigen, und der Erzähler las aus einem ganz kleinen Buche, das er in der Tasche hatte:
»Ich liebte leidenschaftlich die Gräfin von X. Ich war zwanzig Jahre alt und war ein unschuldiger Junge, sie betrog mich; ich machte ihr Vorwürfe, sie verließ mich; ich war ein harmloser Junge, ich sehnte mich nach ihr; ich war zwanzig Jahre alt, sie verzieh mir; da ich zwanzig Jahre alt, immer noch harmlos, immer noch betrogen, aber nicht mehr verlassen war, so hielt ich mich für den allergeliebtesten Liebhaber, folglich für den allerglücklichsten Menschen. Die Gräfin war eine Freundin von Frau von T., die einige Absichten auf mich zu haben schien, ohne daß jedoch jemals ihre Würde kompromittiert worden wäre; denn sie war sehr gewissenhaft und hatte viel Gefühl für den Anstand. Eines Tages, als ich auf die Gräfin in ihrer Loge warte, höre ich mich aus der Nebenloge rufen. Es war Frau von T.: »Wie?« sagte sie zu mir; »schon angekommen! Ist das Treue oder haben Sie nichts zu tun? Schnell, kommen Sie herüber!« In ihrer Stimme und in ihrem Benehmen lag etwas Neckisches, aber ich war weit entfernt, auf irgend etwas Romanhaftes mich gefaßt zu machen.
»Haben Sie für heute abend etwas vor?« sagt sie zu mir. »Ich bitte Sie, gefälligst nichts vorzuhaben. Wenn ich Sie aus der Langeweile Ihrer Einsamkeit rette, so muß man mir ergeben sein. Ah! Keine Fragen, nur Gehorsam. Rufen Sie meine Leute!«
Ich sträube mich, sie bittet mich dringend, hinunterzugehen; ich gehorche.
»Gehen Sie in die Wohnung des Herrn«, sagt sie zu dem von mir gerufenen Lakaien, »und sagen Sie Bescheid, daß er erst morgen nach Hause kommen werde.«
Hierauf macht sie ihm ein Zeichen, er tritt näher, sie sagt ihm etwas ins Ohr; und er geht ab. Die Oper beginnt. Ich will ein paar Worte sagen, sie heißt mich schweigen; dann wieder hört sie auf mich oder tut doch so. Nach dem Ende des ersten Aktes überbringt der Lakai einen Brief und meldet, es sei alles bereit. Da lächelt sie mich an, bittet mich um meinen Arm, zieht mich fort, läßt mich in ihren Wagen steigen, und ich bin auf der Landstraße, ohne eine Ahnung zu haben, was man mit mir vorhat. Sooft ich eine Frage wage, antwortet sie mir nur mit einem lauten Gelächter. Hätte ich nicht gewußt, daß sie eine Frau war, die in der Liebe nur die große Leidenschaft suchte, daß sie seit langer Zeit eine Neigung für den Marquis V. empfand und daß sie unbedingt wissen mußte, daß ich von diesem Umstand unterrichtet war – so hätte ich an ein Liebesabenteuer geglaubt; aber sie kannte den Zustand meines Herzens, und die Gräfin X. war ihre vertraute Freundin. Ich bildete mir
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