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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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verlassen.
    Dann wollen wir zur Ehre des Jahrhunderts gestehen, daß man seit der Wiederaufrichtung der Moral und Religion in gegenwärtiger Zeit hier und da einigen Frauen begegnet, die so moralisch sind, so religiös, so pflichteifrig, so redlich, so abgezirkelt in ihrem Benehmen, so steif, so tugendhaft, so .... daß der Teufel sie nicht einmal anzusehen wagt; sie sind auf allen Seiten schützend umgeben von Rosenkränzen, Gebetsübungen und Beichtvätern ... pst!
    Wir wollen nicht versuchen, die Frauen zu zählen, die aus Dummheit tugendhaft sind; es ist allgemein anerkannt, daß in der Liebe alle Frauen Geist haben.
    Schließlich wäre es jedoch nicht unmöglich, daß es in irgendeinem Winkel junge, hübsche und tugendhafte Frauen gäbe, von denen die Welt keine Ahnung hat.
    Eine tugendhafte Frau dürft ihr aber nicht die nennen, die gegen eine unwillkürliche Leidenschaft ankämpft und einem Liebhaber, den sie zu ihrer Verzweiflung vergöttern muß, nichts bewilligt hat. Dies ist der blutigste Schimpf, der einem verliebten Ehegatten angetan werden kann. Was bleibt ihm von seiner Frau? Ein namenloses Ding, ein lebender Leichnam. Inmitten der Liebeslust ist seine Frau wie jener Gast, dem Borgia beim Gelage sagte, einige von den Speisen seien vergiftet: er hat keinen Hunger mehr und ißt nicht mehr, sondern tut nur noch, wie wenn er kaute. Er bedauert, daß er eine andere Einladung abgelehnt hat, um bei dem fürchterlichen Kardinal zu Tische zu gehen, und sehnt seufzend den Augenblick herbei, wo das Fest zu Ende sein wird und er vom Tische aufstehen kann.
    Was folgt nun aus diesen Betrachtungen über die weibliche Tugend? Fünf Grundsätze, von denen uns aber die beiden letzten von einem eklektischen Philosophen des achtzehnten Jahrhunderts überliefert sind. Hier sind sie:
    XVIII. Eine tugendhafte Frau hat im Herzen eine Fiber mehr oder weniger als die übrigen Frauen: sie ist dumm oder erhaben.
    XIX. Die Tugend der Frauen ist vielleicht eine Frage des Temperaments.
    XX. Die tugendhaftesten Frauen haben in sich ein gewisses Etwas, das niemals keusch ist.
    XXI. Daß ein geistvoller Mann Zweifel an seiner Geliebten hegt, das läßt sich begreifen; aber an seiner Frau ...! da muß man gar zu dumm sein.
    XXII. Die Männer wären zu unglücklich, wenn sie bei den Frauen auch nur im leisesten sich dessen erinnerten, was sie auswendig wissen.
     
    Die Zahl der seltenen Frauen, die wie die Jungfrauen des Gleichnisses das Öl ihrer Lampe zu sparen wußten, wird in den Augen der Verteidiger von Tugend und redlichem Gefühl stets zu schwach sein. Aber noch obendrein müssen wir sie von der Gesamtzahl der anständigen Frauen abziehen, und diese an und für sich trostreiche Subtraktion macht die Gefahr für die Ehemänner noch größer, das Ärgernis noch häßlicher, und befleckt um so mehr die Ehre der übrigen legitimen Ehefrauen.
    Welcher Ehemann wird jetzt noch ruhig an der Seite seiner jungen hübschen Frau schlafen können, wenn er vernimmt, daß mindestens drei Junggesellen auf der Lauer liegen? Wenn sie auf seiner kleinen Besitzung auch noch keinen Schaden angerichtet haben, so betrachten sie doch die Verheiratete als eine Beute, die ihnen von Rechts wegen zukommt und die ihnen früher oder später auch zufallen wird, entweder durch List oder durch Gewalt, die sie mit dem Rechte des Eroberers oder mit freier Zustimmung erlangen werden. Und es kann nicht anders sein, als daß sie eines Tages siegreich aus diesem Kampf hervorgehen.
    Furchtbare Schlußfolgerung!
    Nun werden uns vielleicht Moralhelden, die Lobpreiser der guten alten Zeit, beschuldigen, wir brächten gar zu trostlose Berechnungen vor: sie werden sich zu Verteidigern entweder der anständigen Frauen oder der Junggesellen aufwerfen wollen; aber für diese Herren haben wir uns eine letzte Beobachtung aufgespart:
    Vermehrt nach Belieben die Zahl der anständigen Frauen und vermindert die Zahl der Junggesellen – stets werdet ihr das Ergebnis erhalten, daß es mehr galante Abenteuer als anständige Frauen gibt; stets werdet ihr eine ungeheure Menge von Junggesellen finden, die durch unsere Sitten sich darauf angewiesen sehen, zwischen drei Arten von Verbrechen zu wählen:
    Wenn sie keusch bleiben, wird infolge der schmerzhaftesten Aufregungen ihre Gesundheit Schaden nehmen; sie werden die erhabensten Absichten der Natur vereiteln und werden in die Schweizer Berge reisen, um dort Milch zu trinken und an der Schwindsucht zu sterben.
    Wenn sie ihren berechtigten

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