Physiologie der Ehe (German Edition)
verfrühten Liebesscherzen keinen Anteil gehabt. Wenn sie also im geheimen Rat der ›Großen‹ keine beratende Stimme gehabt hat – wird sie darum besser sein? Nein. Sie wird dort Freundschaft mit andern jungen Mädchen geschlossen haben, und wir sind gewiß bescheiden, wenn wir ihr nur zwei oder drei intime Freundinnen zubilligen. Bist du sicher, daß nach dem Fortgang deiner Frau aus der Pension ihre jungen Freundinnen nicht zu diesen Zusammenkünften zugelassen worden sind, in denen man vor der Zeit die Spiele der Tauben kennen zu lernen oder sich wenigstens von ihnen einen Begriff zu machen sucht? Endlich werden ihre Freundinnen sich verheiraten; dann hast du vier Frauen zu überwachen anstatt einer, hast vier Charaktere zu erraten und bist auf Gnade und Ungnade vier Ehemännern und einem Dutzend Junggesellen preisgegeben, deren Lebenswandel, Grundsätze und Gewohnheiten dir völlig unbekannt sind. Wir nehmen nämlich an, daß unsere Betrachtungen dich von der Notwendigkeit überzeugen werden, dich eines Tages mit den Leuten zu beschäftigen, die du bei der Ehe mit deiner Frau ahnungslos mitgeheiratet hast. Nur Satan selber hat auf den Gedanken kommen können, mitten in einer großen Stadt eine Pension für junge Damen zu errichten! Madame Campan hatte doch wenigstens den Sitz ihres berühmten Instituts nach Écouen gelegt. Diese kluge Vorsicht beweist, daß sie keine gewöhnliche Frau war. Dort sahen ihre jungen Damen nicht das Straßenmuseum: jene grotesken Riesenbilder und schmutzigen Worte, die der böse Geist mit Kreide und Rotstift an die Wände malt. Sie hatten nicht unaufhörlich das Schauspiel menschlicher Gebrechen vor Augen, das in Frankreich auf jedem Prellstein sich breitmacht; keine niederträchtigen Leihbibliotheken träufelten im geheimen das Gift allzu lehrreicher und die Phantasie entflammender Bücher in ihre Adern. Daher konnte diese kluge Institutsvorsteherin wohl nur in Écouen ein junges Mädchen unberührt und rein erhalten – wenn dies überhaupt möglich ist. Vielleicht hoffst du, es leicht verhindern zu können, daß deine Frau ihre Pensionsfreundinnen wiedersieht? Torheit! Sie wird sie auf dem Ball treffen, im Theater, auf der Promenade, in den Gesellschaften; und wie viele Dienste können nicht zwei Frauen sich erweisen! Aber diesen neuen Gegenstand des Schreckens werden wir an seinem Ort und Platz gebührend betrachten.
Und dies ist noch nicht alles: wenn deine Schwiegermutter ihre Tochter in eine Pension gegeben hat – meinst du, dies sei aus Interesse für ihre Tochter geschehen? Ein kleines Fräulein von zwölf bis fünfzehn Jahren ist ein schrecklicher Argus; und wenn die Schwiegermutter keinen Argus im Hause haben wollte, so beginne ich zu argwöhnen, daß deine Frau Schwiegermutter unbedingt zum allerzweifelhaftesten Teil unserer anständigen Frauen gehört. Auf alle Fälle wird sie also für ihre Tochter entweder ein verhängnisvolles Beispiel oder eine gefährliche Beraterin sein.
Aber halt! ... die Schwiegermutter verlangt eine ganze Betrachtung für sich.
Auf welche Seite du dich also auch legen magst, in dieser Beziehung ist das Ehebett überall gleich dornig.
Vor der Revolution schickten etliche aristokratische Familien ihre Töchter ins Kloster. Diesem Beispiel folgten zahlreiche Leute, die sich einbildeten, wenn sie ihre Töchter an Orte brächten, wo sich die Töchter der vornehmsten Herrschaften befänden, so würden sie deren Ton und Manieren annehmen. Dieser Irrtum eitlen Stolzes war von vornherein ein schwerer Schaden für das häusliche Glück; denn die Klöster besaßen alle Nachteile der Pensionate. Der Müßiggang übt in ihnen einen noch schrecklicheren Einfluß. Die Absperrungsgitter entflammen die Einbildungskraft. Die Einsamkeit ist eine der Lieblingsprovinzen des Teufels; und man glaubt es kaum, welche Verwüstungen die gewöhnlichsten Lebenserscheinungen in der Seele dieser träumerischen, unwissenden und unbeschäftigten jungen Mädchen anrichten können!
Einige beschäftigen sich so inbrünstig mit ihren Schimären, daß sie auf mehr oder weniger sonderbare Quidproquos verfallen. Andere, die sich von ehelichem Glück eine übertriebene Vorstellung gemacht haben, sagen, wenn sie einem Gatten angehören, zu sich selber: »Wie? das ist alles?« Jedenfalls bringt die unvollkommene Bildung, die diese gemeinschaftlich erzogenen Mädchen sich erwerben, die ganze Gefahr der Unwissenheit und das ganze Unglück des Wissens mit sich.
Ein junges
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