Physiologie der Ehe (German Edition)
warum kommt denn so selten eine glückliche Ehe vor? Dieses Phänomen der sittlichen Welt findet sich selten, weil man nur wenig genialen Menschen begegnet. Eine dauernde Leidenschaft ist ein erhabenes Drama, das von zwei gleichbegabten Schauspielern aufgeführt werden muß – ein Drama, dessen Katastrophen die Gefühle, dessen Ereignisse die Begierden sind, worin der leiseste Gedanke zu einem Szenenwechsel führt. Wie könnte man nun wohl in dieser Herde von Zweihändern, die man ein Volk nennt, häufig einen Mann und eine Frau finden, die in gleichhohem Grade mit dem Geiste der Liebe begabt sind, da ja schon in den andern Wissenschaften, in denen zur Erreichung des Erfolges der Künstler nur mit sich selber im klaren zu sein braucht, die Talente so dünn gesät sind?
Bis jetzt haben wir uns damit begnügt, die gewissermaßen physischen Schwierigkeiten ahnen zu lassen, die zwei Gatten zu überwinden haben, um glücklich zu sein. Wie nun erst, wenn wir das erschreckende Gemälde der sittlichen Verpflichtungen enthüllen müßten, die aus der Verschiedenheit der Charaktere entstehen! Schweigen wir darüber! Der Mann, der geschickt genug ist, sein Temperament zu lenken, wird ganz gewiß auch Herrscher seiner Seele sein.
Wir wollen annehmen, unser Mustergatte erfülle diese Hauptbedingungen, die erforderlich sind, um seine Frau erfolgreich gegen den Ansturm der Feinde zu verteidigen. Wir wollen annehmen, er gehöre zu keiner der zahlreichen Klassen von Prädestinierten, über die wir Musterung gehalten haben. Endlich wollen wir annehmen, daß er sich alle Grundsätze zu eigen gemacht habe; daß er die wunderbare Wissenschaft beherrsche, von deren Lehren wir dem Leser einige enthüllt haben; daß er bei der Auswahl seiner Frau sehr verständig zu Werke gegangen sei; daß er seine Frau kenne; daß er von ihr geliebt werde. Und nun wollen wir in der Aufzählung aller allgemeinen Ursachen fortfahren, die die kritische Lage noch verschlimmern können, in die wir ihn zur Belehrung des Menschengeschlechtes zu bringen gedenken.
Die Pensionate
Wenn du ein Fräulein geheiratet hast, das seine Erziehung in einem Pensionat empfangen hat, so hast du gegen dein Glück außer allen bisher bereits aufgezählten schlechten Aussichten noch dreißig andere, und du gleichst genau einem Menschen, der mit der Hand in ein Wespennest gegriffen hat.
Laß dich von der unschuldigen Unwissenheit, der naiven Anmut, der schamhaften Zurückhaltung deiner Frau nicht fangen, sondern sobald eure Ehe den priesterlichen Segen empfangen hat, überlege dir und befolge flugs die Grundsätze und Lehren, die wir im zweiten Teil dieses Buches ausführlich behandeln werden! Wende sogar die strengen Maßnahmen des dritten Teiles an; übe auf der Stelle eine tätige Wachsamkeit, entfalte zu jeder Stunde eine väterliche Sorgfalt – denn schon am Tage nach deiner Hochzeit, ja vielleicht sogar am Tage vorher, war ›Gefahr im Verzuge‹.
Bitte erinnere dich nur einmal der ebenso tiefen wie geheimen Kenntnis, die die Schüler sich de natura rerum über die Natur der Dinge verschaffen! Sind jemals Lapeyrouse, Cook oder Kapitän Parry mit solchem Eifer auf ihre Entdeckungsreisen nach den Polen ausgesegelt, wie die Gymnasiasten nach den verbotenen Gestaden des Ozeans der Liebesfreuden?
Da die Mädchen listiger, geistreicher und neugieriger sind als die Knaben, so müssen ihre heimlichen Zusammenkünfte, ihre Gespräche, die keine Kunst züchtiger Matronen verhindern kann, von einem tausendmal höllischeren Geiste geleitet sein wie die der Gymnasiasten. Welcher Mann hat jemals die moralischen Betrachtungen und boshaften Bemerkungen dieser jungen Mädchen gehört? Sie allein kennen jene Spiele, in denen die Ehre zum voraus verloren ist, diese Proben der Liebeslust, diese tastenden Versuche in der Wollust, diese Nachahmungen des Glücks, die man mit den Diebstählen vergleichen kann, die von naschhaften Kindern verübt werden, um sich einer im verschlossenen Schrank aufbewahrten Leckerei zu bemächtigen. Ein Mädchen wird vielleicht ihre Pension als Jungfrau verlassen; aber keusch? – nein! Sie wird mehr als einmal in geheimen Plauderkränzchen die wichtige Frage der Liebhaber besprochen haben, und die Verderbnis muß ihr Herz oder muß ihren Geist ergriffen haben – womit ich übrigens keinen Gegensatz von Herz und Geist aufstellen möchte.
Wir wollen indessen annehmen, deine Frau habe an diesen Leckerhaftigkeiten ausgelassener Jüngferchen, an diesen
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