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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Mädchen, das durch eine Mutter oder durch eine tugendhafte, bigotte, liebenswürdige oder zänkische alte Tante zu Hause erzogen worden ist; ein junges Mädchen, das niemals die Schwelle seiner Häuslichkeit überschritten hat, ohne von einer Anstandsdame begleitet zu sein; das in seiner Kindheit fortwährend hat fleißig sein, und, um nur beschäftigt zu sein, sogar überflüssige Arbeiten hat machen müssen; dem endlich alles unbekannt ist, sogar Séraphins Schauspiel – ein solches junges Mädchen ist einer jener Schätze, die man hier und da in der Welt antrifft, wie jene Waldblumen, die von so dichtem Gestrüpp umgeben sind, daß sterbliche Augen sie nicht haben erreichen können. Wer als Herr einer so lieblichen, so reinen Blume sie von andern pflegen läßt – der hat sein Unglück tausendmal verdient! Der ist entweder ein Ungeheuer oder ein Dummkopf.
    Hier wäre nun wohl der Augenblick gekommen, zu untersuchen, ob es irgendein bestimmtes Verfahren gibt, sich gescheit zu verheiraten. Man könnte sich damit die Vorsichtsmaßregeln ersparen, die im zweiten und dritten Teil dieses Buches eine zusammenhängende Darstellung erfahren werden. Aber ist es nicht hinreichend bewiesen, daß es leichter ist, in einem auf allen Seiten dicht verschlossenen rotglühenden Ofen die ›Schule der Frauen‹ zu lesen, als den Charakter, die Gewohnheiten und den Geist eines heiratsfähigen Fräuleins zu erkennen?
    Verheiraten die meisten Männer sich nicht genau so, wie wenn sie einen Posten Rente auf der Börse kauften?
    Und wenn es uns in der vorhergehenden Betrachtung gelungen ist, nachzuweisen, daß die größte Zahl der Männer gegen ihre Gattenehre im höchsten Grade gleichgültig ist – kann man dann vernünftigerweise annehmen, daß es viele Leute gibt, die reich, geistvoll und nachdenklich genug sind, um, wie jener Burchell im ›Landprediger von Wakefield‹, ein oder zwei Jahre darauf zu verwenden, die Mädchen, aus denen sie sich ihre Frau wählen wollen, zu ergründen, zu beobachten? Sie bekümmern sich ja so wenig um sie, nachdem sie sie während jener kurzen Zeitspanne, die die Engländer ›Honigmond‹ nennen, in ehelicher Liebe besessen haben! Mit dem Einfluß dieses Honigmonds werden wir uns demnächst noch beschäftigen.
    Da wir indessen über diesen wichtigen Gegenstand lange Zeit und reiflich nachgedacht haben, so wollen wir darauf aufmerksam machen, daß es einige Mittel gibt, um, selbst wenn man eine schnelle Wahl trifft, doch eine einigermaßen gute Wahl zu treffen.
    Es steht zum Beispiel außer allem Zweifel, daß die Wahrscheinlichkeiten zu deinen Gunsten sein werden:
    1. Wenn du ein Fräulein wählst, dessen Temperament dem der Frauen von Louisiana und Karolina ähnelt.
    Um über das Temperament einer jungen Person sichere Auskünfte zu erhalten, muß man sich an ihre Kammermädchen wenden und dabei das System in Anwendung bringen, von welchem Gil Blas spricht und dessen sich ein Staatsmann bedient, um Verschwörungen zu entdecken oder zu erfahren, wie die Minister die Nacht zugebracht haben.
    2. Wenn du ein Fräulein wählst, das nicht gerade häßlich ist, aber auch nicht zu den hübschen Frauen gerechnet werden kann.
    Wir betrachten es als einen feststehenden Grundsatz, daß man dadurch in seiner Ehe möglichst wenig unglücklich sein wird: denn wenn sich bei einer Frau ein sehr sanftes Gemüt mit einer erträglichen Häßlichkeit vereinigt, so sind dies zwei unfehlbare Elemente des Erfolges.
    Aber willst du die Wahrheit wissen? Schlage Rousseau auf – denn es wird keine Frage der öffentlichen Moral auftauchen, deren Tragweite er nicht bereits im voraus bestimmt hätte. Lies:
    »Bei den Völkern, die auf Sitte halten, sind die Mädchen gefällig und die Frauen streng. Bei den Völkern, die nicht auf Sitte halten, ist das Gegenteil der Fall.«
    Wenn wir den Grundsatz, den diese tiefe und wahre Bemerkung bestätigt, uns zu eigen machen wollten, so würde daraus hervorgehen, daß es nicht so viele unglückliche Ehen geben würde, wenn die Männer ihre Mätressen heirateten. Die Mädchenerziehung müßte alsdann in Frankreich beträchtliche Änderungen erfahren. Bis jetzt, wo es sich darum handelte, entweder ein Vergehen oder Verbrechen zu verhüten, haben die französischen Gesetze und die französischen Sitten das Verbrechen begünstigt. Der Fehltritt eines Mädchens ist in der Tat kaum ein Vergehen, wenn man ihn mit dem Fehltritt einer verheirateten Frau vergleicht. Ist also nicht

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