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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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wir dadurch dahin gelangen, der ehelichen Treue den ganzen Duft und Reiz zu verleihen, den die Frauen jetzt an der Untreue finden.
    Aber diese Erörterung würde uns zu weit von unserm Gegenstand entfernen, wenn wir dabei in allen Einzelheiten die ungeheure sittliche Besserung untersuchen müßten, die ohne Zweifel im Frankreich des Zwanzigsten Jahrhunderts notwendig werden wird – denn die Reformen gesellschaftlicher Sitten vollziehen sich ja so langsam! Muß nicht zur Durchsetzung der geringsten Veränderung der kühnste Gedanke des vergangenen Jahrhunderts der alltäglichste Gedanke des gegenwärtigen Jahrhunderts geworden sein? Wir haben denn auch gewissermaßen nur aus Koketterie diese Frage gestreift, teils um zu zeigen, daß sie unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen war, teils um unsern Enkeln noch ein weiteres Werk zu vermachen, und zwar, wohlgezählt, das dritte: das erste betrifft die Kurtisanen, das zweite ist die Physiologie des Liebesgenusses, und
»wenn wir beim zehnten sind,
dann schlagen wir ein Kreuz.«
     
    In dem gegenwärtigen Zustand unserer Sitten und unserer unvollkommenen Zivilisation gibt es ein Problem, das für den Augenblick sich nicht lösen läßt, das aber jede Erörterung über die Kunst, sich eine Frau zu wählen, überflüssig macht. Wir überliefern es, wie alle andern, dem Nachdenken der Philosophen.
Problem:
    Man hat noch nicht feststellen können, was die Frau mehr zur Untreue treiben würde: die Unmöglichkeit, sich eine Abwechslung zu gestatten, oder die Freiheit, nach ihrem Belieben zu handeln.
     
    Wir beschäftigen uns ja in diesem Werk mit den Aussichten eines Mannes in dem Augenblick, wo er sich vermählt hat. Wenn er nun einer Frau begegnet wäre, die mit einem vollblütigen Temperament, mit einer lebhaften Einbildungskraft, mit einer nervösen Anlage oder mit einem gleichgültigen Charakter begabt wäre, so würde seine Situation nur um so bedenklicher sein.
    In noch größerer Gefahr würde ein Mann sich befinden, wenn seine Frau nur Wasser tränke – Näheres darüber in der Betrachtung ›Hygiene der Ehe‹ –; wenn sie aber gar Begabung für den Gesang hätte oder besonders zu Erkältungen geneigt wäre, so müßte er alle Tage zittern; denn es ist ausgemacht, daß die Sängerinnen zum mindesten ebenso leidenschaftlich veranlagt sind, wie die Frauen mit besonders empfindlichen Schleimhäuten.
    Endlich würde die Gefahr noch viel ärger sein, wenn die Frau weniger als siebzehn Jahre alt wäre, oder wenn sie eine blasse, fahle Gesichtsfarbe hätte – denn diese Art Frauen sind fast alle hinterlistig.
    Aber wir wollen nicht vorgreifen und behalten uns für später eine systematische Aufzählung der Befürchtungen vor, die den Ehemännern die Beobachtung aller unheilverkündenden Charakterzüge ihrer Frauen einflößen kann. Diese Abschweifung hat uns bereits zu weit von den Pensionaten entfernt, die an so vielen unglücklichen Ehen schuld sind; aus denen junge Mädchen hervorgehen, die nicht imstande sind, den Wert der Mühen und Opfer zu ermessen, durch die der Ehrenmann, der sie mit seiner Wahl beehrt, zum Wohlstand gelangt ist – junge Mädchen, die sich ungeduldig nach den Genüssen des Luxus sehnen, die weder unsere Gesetze noch unsere Sitten kennen, die mit Begierde die Herrschaft ausnutzen, die ihnen ihre Schönheit verleiht, die stets bereit sind, den wahren Tönen der Seele ihr Ohr zu verschließen und den Einflüsterungen der Schmeichelei zu lauschen.
    Wenn diese Betrachtung in der Erinnerung aller Leser – selbst solcher, die dieses Buch nur anstandshalber oder in der Zerstreutheit einmal aufgeschlagen haben – eine tiefe Abneigung gegen junge Damen zurückläßt, die in Pensionaten erzogen worden sind, so werden dadurch bereits der Allgemeinheit große Dienste geleistet worden sein.

Der Honigmond
    Während unsere ersten Betrachtungen beweisen, daß es in Frankreich einer verheirateten Frau beinahe unmöglich ist, tugendhaft zu bleiben, geben unsere Berechnungen über die Anzahl der Junggesellen und der ›Prädestinierten‹, unsere Bemerkungen über die Erziehung der jungen Mädchen und unser flüchtiger Überblick über die mit der Wahl einer Frau verbundenen Schwierigkeiten bis zu einem gewissen Grade eine Erklärung für diese Gebrechlichkeit unserer Nation. Nachdem wir die geheime Krankheit, von der unser Gesellschaftskörper gequält wird, unumwunden festgestellt haben, haben wir ihre Ursachen gesucht, und zwar in der Unvollkommenheit der

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