Physiologie der Ehe (German Edition)
den Schlüssel zum Paradiese.
Ich frage jeden vernünftigen Menschen: wenn ein Teufel das Verderben eines Engels beschworen hätte, würde er sein Opfer so sorgfältig mit allen Mitteln der Zerstörung umgeben, wie die guten Sitten sich gegen das Glück eines Ehemanns verschwören? ... Bist du nicht wie ein König von Schmeichlern umgeben?
So wird sie mit ihrer ganzen Unwissenheit und mit allen ihren Begierden einem Manne ausgeliefert, der, auch wenn er verliebt ist, ihr geheimes zartes Wesen nicht kennen kann. Ist es nicht schändlich, wie dieses junge Mädchen passiv, unterwürfig und gefällig die ganze Zeit über von ihrer jungen Einbildungskraft sich vorreden lassen muß, sie möge auf die Wonne oder auf das Glück bis zu einem ›morgen‹ warten, das niemals kommt?
In dieser eigentümlichen Lage, wo die Gesetze der Gesellschaft und die der Natur in Widerstreit liegen, gehorcht ein junges Mädchen, gibt sich hin, leidet und schweigt in ihrem eigenen Interesse. Ihr Gehorsam ist eine Spekulation; ihre Gefälligkeit ist eine Hoffnung; ihre Ergebenheit ist eine Art von religiöser Berufung, aus der du Nutzen ziehst; und ihr Schweigen ist Großmut. Sie wird das Opfer deiner Launen sein, solange sie sie nicht versteht; sie wird unter deinem Charakter leiden, bis sie diesen studiert hat; sie wird sich ohne Liebe opfern, weil sie an den Schein der Leidenschaft glaubt, wozu der erste Augenblick ihres Besitzes dich hinreißt. An dem Tage, wo sie die Nutzlosigkeit ihrer Opfer erkannt hat, wird sie nicht mehr schweigen.
Dann kommt ein Morgen, wo alle Widersinnigkeiten, die diese Verbindung zustande gebracht haben, sich erheben wie Baumzweige, die einen Augenblick zur Erde gezogen waren, sich ruckweise aufrichten, sobald die Gewichte von ihnen entfernt werden. Du nahmst für Liebe, daß ein junges Mädchen auf eigene Lebensbetätigung verzichtete – ein junges Mädchen, das auf das Glück wartete; das deinen Wünschen entgegenflog in der Hoffnung, du würdest auch den seinigen entgegenkommen; das sich nicht über geheime Leiden beklagte, deren sie sich selbst zuerst beschuldigte. Welcher Mann ließe sich nicht durch eine von so langer Hand vorbereitete Täuschung fangen – von einer Täuschung, an der eine junge Frau unschuldig und zugleich Mitschuldige und Opfer ist? Du müßtest ein Gott sein, um dem blendenden Trug zu entrinnen, mit dem die Natur und die Gesellschaft dich umgibt. Ist nicht alles um dich und in dir eine Falle? Um glücklich zu sein, müßtest du dich ja gegen die stürmischen Begierden deiner Sinne wehren! Wo ist, um sie zurückzuhalten, jene starke Schranke, die eine leichte Frauenhand aufrichtet – die Hand einer Frau, der man gefallen will, weil man sie noch nicht besitzt? Du hast deine Truppen im Parademarsch vorbeiziehen lassen, als noch niemand am Fenster war. Du hast ein Feuerwerk abgebrannt, von dem im Augenblick, wo dein Gast sich einfindet, es zu sehen, nur das verkohlte Skelett übrig ist. Deiner Frau ging es gegenüber den Genüssen der Ehe wie einem Mohikaner in der Oper: der Lehrer langweilt sich bereits, als der Wilde erst zu begreifen anfängt.
LV. In der Ehe geht der Augenblick, wo zwei Herzen sich verstehen können, so schnell vorüber wie ein Blitz; und ist er einmal vorüber, so kehrt er niemals zurück.
Dieser erste Versuch, ein Leben zu zweien zu führen, währenddessen die Frau durch die Hoffnung auf Glück ermutigt wird, durch das noch neue Gefühl ihrer Gattenpflichten, durch den Wunsch, zu gefallen, durch die Tugend, die so überzeugend zum Herzen spricht, da in diesem Augenblick Liebe und Pflicht eins sind – dieser Versuch heißt Honigmond. Wie könnte er von langer Dauer sein zwischen zwei Wesen, die sich für das ganze Leben vereinen, ohne sich genau zu kennen? Über nichts muß man sich so wundern, wie darüber, daß die kläglichen Abgeschmacktheiten, die unsere Sitten um ein Ehebett herum aufgehäuft haben, so selten zu wirklichem Haß führen!
Aber daß das Leben des Weisen ein friedliches Bächlein und das des Verschwenders ein wilder Strom ist; daß das Kind, das mit sorgloser Hand alle Rosen auf seinem Wege entblättert hat, bei der Rückkehr nur noch Dornen findet; daß der Mensch, dessen tolle Jugend eine Million verschlungen hat, nun nicht mehr sein Leben lang die vierzigtausend Franken Rente genießen kann, die diese Million ihm würde abgeworfen haben – das sind triviale Wahrheiten, wenn man an die Moral, und ewig neue Wahrheiten, wenn man an das
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