Physiologie der Ehe (German Edition)
Gesetze, in der Folgewidrigkeit unserer Sitten, in der Unzulänglichkeit des menschlichen Durchschnittsverstandes, in den Widersprüchen unserer Gewohnheiten. Ein einziges bleibt uns noch zu beobachten: das erste Auftreten des Leidens.
Um zu dieser Beobachtung zu gelangen, brauchen wir nur die wichtigen Fragen in Angriff zu nehmen, die in dem Ausdruck ›Honigmond‹ inbegriffen, sind. Wir werden darin nicht nur den Ausgangspunkt für alle Erscheinungen des Ehelebens finden, sondern auch die glänzende Kette, deren einzelne Glieder unsere Beachtungen, unsere Aussprüche, unsere Probleme bilden werden, die wir in die lustige Weisheit unserer etwas redseligen Betrachtungen eingestreut haben. Der ›Honigmond‹ wird sozusagen den Höhepunkt der Analyse bilden, die wir vornehmen mußten, ehe wir unsere beiden Kämpen auf den Plan treten lassen konnten.
Der Ausdruck ›Honigmond‹ stammt aus dem Englischen und wird in alle Sprachen übergehen, weil er so anmutig die Zeit der jungen Ehe bezeichnet, während welcher das Leben nur Süße und Entzücken ist; der Ausdruck wird bleiben, wie die Illusionen und Irrtümer bleiben, denn er ist die allerabscheulichste Lüge. Wie eine mit frischen Blumen umkränzte Nymphe, wie eine sich liebkosend anschmiegende Sirene tritt er vor uns, weil er das Unglück selbst ist; und dies Unglück tritt meistens ein, während wir glauben, es mit einer mutwilligen Schäkerei zu tun zu haben.
Ehegatten, denen das Schicksal es gönnt, sich ihr Leben lang zu lieben, machen sich keinen Begriff vom sogenannten Honigmond; für sie existiert er nicht oder vielmehr er existiert immer: sie sind wie jene Unsterblichen, die nichts vom Tode wußten. Aber dieses Glück steht außerhalb des Rahmens unseres Buches, und für unsere Leser steht die Ehe unter dem Einfluß zweier Monde: des Honigmonds und des launischen, unfreundlichen Aprilmonds. Dieser letztere schließt mit einer Revolution ab, die aus ihm einen Halbmond macht; und wenn dieser einmal über einer Ehe scheint, so ist es für ewige Zeiten.
Wie kann der Honigmond zwei Menschen scheinen, die sich nicht lieben?
Wie kommt es, daß er untergeht, nachdem er aufgegangen war?
Haben alle Ehen ihre Honigmonde?
Wir wollen diese drei Fragen der Reihe und Ordnung nach beantworten.
Die wunderbare Erziehung, die wir den jungen Mädchen geben, und die ausnehmende Vorsicht, die die Männer bei der Eingehung ihrer Ehe walten lassen, werden sich hier in ihrem vollen Glanze zeigen! Zunächst wollen wir die Umstände prüfen, die vor und nach der Schließung der verhältnismäßig am wenigsten unglücklichen Ehen in Betracht kommen.
Unsere Sitten entwickeln in dem jungen Mädchen, das du zu deiner Frau machst, eine Neugierde, die natürlicherweise außerordentlich lebhaft ist; da aber außerdem noch in Frankreich die Mütter einen ganz besonderen Stolz darein setzen, ihre Töchter alle Tage in die Nähe des Feuers zu bringen, ohne daß sie sich verbrennen dürfen, so kennt diese Neugierde keine Grenzen mehr.
Eine vollkommene Unkenntnis der Geheimnisse der Ehe verhüllt diesem ebenso naiven wie listigen Geschöpf die Gefahren, die das Heiraten mit sich bringt; und da die Ehe ihr fortwährend als eine Epoche der Tyrannei und der Freiheit, des Genusses und der unbeschränkten Herrschaft dargestellt wird, so werden ihre Wünsche immer brennender, da mit deren Gewährung zugleich auch alle ihre Daseinsbedingungen erfüllt werden; für sie bedeutet Heiraten: aus dem Nichts zum Leben berufen werden.
Wenn sie in sich ein Gefühl für Glück, Religion, Sittlichkeit trägt – so haben die Gesetze und ihre Mutter ihr tausendmal wiederholt, daß dieses Glück ihr nur durch dich zuteil werden kann.
Wenn der Gehorsam bei ihr keine Tugend ist, so ist er stets eine Notwendigkeit; denn sie erwartet von dir alles: allerdings machen schon die Einrichtungen der Gesellschaft die Frau zur Sklavin, aber sie empfindet gar nicht einmal den Wunsch nach Freiheit, denn sie fühlt sich schwach, furchtsam und unwissend.
Wenn nicht aus Zufall ein Irrtum vorkommt oder wenn sie nicht einen natürlichen Widerwillen gegen dich hat – den du aber hättest erraten müssen; denn wenn du ihn nicht errietest, wäre das unverzeihlich – so muß sie dir zu gefallen suchen; sie kennt dich nicht.
Endlich, um deinen schönen Triumph vollends leicht zu machen, empfängst du sie im Augenblick, wo oftmals die Natur kräftig nach den Wonnen verlangt, deren Spender du bist. Wie Sankt Peter hast du
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