Physiologie der Ehe (German Edition)
selbst – eine Bewegung, die ihre Geschwindigkeit durch einen unbekannten Antrieb erhält. In das Geheimnis dieser kreisenden Bewegung ist der Mensch so wenig eingedrungen, wie die Erde etwas von den Ursachen ihrer Umdrehung weiß. Dieses unbekannte Etwas, das ich den Strom des Lebens nennen möchte, reißt unsere Lieblingsgedanken mit sich fort, schwächt den Willen der meisten Menschen und beeinflußt uns alle auch gegen unsern Willen. Ein recht vernünftiger Mann zum Beispiel, der stets pünktlich seine Wechsel bezahlen wird, wenn er ein Kaufmann ist, könnte dem Tode oder einem vielleicht noch schlimmeren Lose, einer Krankheit, entgehen, wenn er eine keineswegs unbequeme, aber täglich einzuhaltende Vorschrift beobachtete – aber nein: er wird nach allen Regeln der Kunst zwischen die acht Bretter genagelt, nachdem er sich jeden Abend gesagt hat: »Oh, morgen werde ich nicht vergessen, meine Pillen zu nehmen!« Wie soll man sich diesen seltsamen Zauber erklären, von dem gleichsam alle Angelegenheiten unseres Lebens behext sind? Aus einem Mangel an Energie? Menschen von stärkster Willenskraft sind diesem Fehler unterworfen. Aus einer Gedächtnisschwäche? Leute, die ein ganz ausgezeichnetes Gedächtnis besitzen, leiden daran.
Diese Tatsache, die ein jeder an seinem Nachbarn hat beobachten können, ist eine der Ursachen, die die meisten Ehemänner ihres Honigmondes berauben. Der verständigste Mann, der alle bereits von uns gekennzeichneten Klippen vermieden hat, entgeht zuweilen nicht den Schlingen, die er sich selber gelegt hat.
Ich habe bemerkt, daß es dem Mann mit der Ehe und ihren Gefahren beinahe ergeht wie mit den Perücken; und vielleicht können die folgenden Entwicklungsstufen, die der Gedanke hinsichtlich der Perücke durchmacht, als eine für das ganze Menschenleben gültige Formel angesehen werden.
Erste Epoche: Werde ich jemals weiße Haare haben?
Zweite Epoche: Sollte ich jemals weiße Haare haben, so werde ich jedenfalls nie eine Perücke tragen: Gott! wie häßlich ist eine Perücke!
Eines Morgens hörst du eine junge Stimme, die die Liebe oft erstickt hat und noch öfter hat vibrieren lassen; sie ruft:
»Ach sieh, du hast ein weißes Haar! ...«
Dritte Epoche: Warum sollt' ich nicht eine gut gearbeitete Perücke haben, von der kein Mensch etwas merken würde? Es liegt ein gewisser Reiz darin, auf diese Art alle Leute anzuführen; auch hält eine Perücke warm, verhindert Erkältungen usw.
Vierte Epoche: Die Perücke wird so geschickt aufgesetzt, daß du alle Leute täuschest, die dich nicht kennen.
Die Perücke ist deine größte Sorge, und aus Eitelkeit wetteiferst du jeden Morgen mit dem geschicktesten Friseur.
Fünfte Epoche: Die Perücke wird vernachlässigt. »Herrgott! ist das langweilig, daß man jeden Abend das Ding vom Kopf nehmen muß, um sie jeden Morgen wieder aufzukräuseln!«
Sechste Epoche: Unter der Perücke drängen sich einige weiße Haare hervor; sie rutscht auf dem Kopf hin und her, und der Beobachter bemerkt über deinem Halse einen weißen Streifen, der sich von der dunkleren Farbe der von deinem Rockkragen hinaufgeschobenen Perücke abhebt.
Siebente Epoche: Die Perücke sieht aus wie ein Queckenbüschel, und – ich bitte den Ausdruck zu entschuldigen – du pfeifst auf deine Perücke!
»Mein Herr,« sagte zu mir eine der klugen Damen, die die Freundlichkeit hatten, mich über einige der dunkelsten Abschnitte meines Buches aufzuklären; »was meinen Sie mit dieser Perücke?«
»Meine Gnädige,« antwortete ich, »wenn ein Mann gleichgültig wird in bezug auf eine Perücke, so ist er ... so ist er ... was Ihr Herr Gemahl wahrscheinlich nicht ist.«
»Aber mein Mann ist nicht ...« sie suchte ... »er ist nicht ... liebenswürdig; er ist nicht ... ganz kräftig; er ist nicht ... immer bei gleicher Stimmung; er ist nicht ...«
»Dann, gnädige Frau, wäre er also gleichgültig gegen seine Perücke.«
Wir sahen uns an, sie mit einer ziemlich gut gespielten Würde, ich mit einem unmerklichen Lächeln.
»Ich sehe,« sagte ich, »man muß auf die Ohren des kleinen Geschlechts eine ganz besondere Rücksicht nehmen; denn das ist das einzige Keusche an ihm.«
Ich nahm die Haltung eines Mannes an, der etwas Wichtiges vorzubringen hat, und die Schöne schlug die Augen nieder, als hätte sie gedacht, sie würde während dieser Rede wahrscheinlich erröten müssen.
»Gnädige Frau, heutzutage würde man keinen Minister aufhängen, wie man es früher tat, um eines
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