Physiologie der Ehe (German Edition)
bedroht werden. Die Natur hat dem Minotauros eine Schelle um den Hals gelegt, wie sie der furchtbaren Schlange, die der Schrecken der Reisenden ist, eine Klapper an den Schwanz gebunden hat. Jetzt nämlich macht sich an deiner Frau bemerkbar, was wir die ersten Symptome nennen wollen, und wehe dem, der sie nicht zu bekämpfen gewußt hat!
Wer bei dem Lesen dieser Zeilen sich erinnern sollte, diese Anzeichen früher bereits gesehen zu haben, als sie sich zuerst in seiner Häuslichkeit kundgaben, der kann sofort zum Schluß dieses Werkes übergehen; er wird dort einige Tröstungen finden.
Diese Situation, in der eine Ehe längere oder kürzere Zeit verbleibt, wird den Ausgangspunkt unseres Werkes bilden, wie sie zugleich der Abschluß unserer allgemeinen Bemerkungen ist. Ein verständiger und kluger Mann muß die geheimnisvollen Anzeichen zu erkennen wissen, die unmerklichen Symptome und die unwillkürlichen Enthüllungen, die eine Frau während dieses Stadiums sich entschlüpfen läßt; denn die folgende Betrachtung könnte den Anfängern in der erhabenen Wissenschaft der Ehephilosophie höchstens die allergröbsten Umrisse aufzeichnen.
Die ersten Symptome
Während deine Frau sich in der Krisis befindet, von der wir soeben gesprochen haben, wiegst dagegen du dich in einer angenehmen völligen Sicherheit. Du hast so oft die Sonne gesehen, daß du zu glauben beginnst, sie könne recht wohl der ganzen Welt leuchten. Und von jetzt an widmest du nicht mehr den unbedeutendsten Handlungen deiner Frau jene Aufmerksamkeit, zu der dich das erste Feuer des Temperaments antrieb.
Diese Gleichgültigkeit verhindert viele Ehemänner, die Symptome zu bemerken, durch die ihre Frauen ein erstes Gewitter ankünden; und diese Gleichgültigkeit hat mehr Ehemänner minotaurisiert als die Gelegenheit, die Fiaker, die Kanapees und die Absteigequartiere. Dieses Gefühl der Unachtsamkeit gegenüber der Gefahr wird gewissermaßen hervorgerufen und gerechtfertigt durch die anscheinende Ruhe, die dich umgibt. Die Verschwörung, die von unserer Million hungriger Junggesellen gegen dich angesponnen ist, scheint von einem Geiste beseelt zu sein. Obwohl von allen diesen Herrchen keiner den andern kennt – oder die, welche sich kennen, Feinde sind –, hat eine Art Instinkt ihnen das Stichwort gegeben.
Wenn zwei Menschen sich verheiraten, sind für gewöhnlich die Sbirren des Minotauros, jung wie alt, so höflich, die Ehegatten ganz sich selber zu überlassen. Sie sehen in einem Ehemann einen Arbeiter, der die Aufgabe hat, den Diamanten, der von Hand zu Hand gehen soll, um eines Tages in der Runde bewundert zu werden, zu schleifen, zu glätten, zu facettieren und zu fassen. Daher ist denn immer der Anblick eines recht verliebten jungen Ehepaares eine Freude für jene Junggesellen, die man ›Roués‹ genannt hat; sie hüten sich wohl, eine Arbeit zu stören, von der die ganze Gesellschaft Nutzen haben wird; sie wissen auch, daß ein starker Regen nicht lange dauert; und so halten sie sich beiseite, liegen auf der Lauer und erspähen mit unglaublicher Gewandtheit den Augenblick, wo die beiden Gatten des Siebenten Himmels müde zu werden beginnen.
Das Feingefühl, womit die Junggesellen den Augenblick entdecken, wo in einer Ehe die ersten Stürme auftreten, läßt sich nur mit der Gleichgültigkeit vergleichen, der die Ehemänner, für die der Wettermond aufgeht, sich hingegeben haben. Selbst in der Galanterie gibt es einen Augenblick der Reife, den man muß abwarten können. Ein großer Mann weiß mit richtigem Urteil vorauszusehen, was sich aus den Umständen ergeben kann. Diese Zweiundfünfzigjährigen zum Beispiel, die wir als so gefährlich geschildert haben, begreifen vollkommen, daß mancher, der sich einer Frau als Liebhaber angeboten hat und stolz abgewiesen worden ist, drei Monate später mit offenen Armen aufgenommen werden wird.
Im allgemeinen verraten die verheirateten Leute die Kälte ihrer Gefühle mit derselben Naivität, womit sie ihre Liebe zur Schau trugen. Zu jener Zeit, wo du mit deiner Frau Gemahlin die entzückenden Landschaften des Siebenten Himmels durchstreiftest – was je nach den Charakteren, wie aus der vorhergehenden Betrachtung hervorgeht, mehr oder weniger lange dauert –, zu jener Zeit gingt ihr wenig oder gar nicht in Gesellschaft. Ihr wart glücklich in eurer Häuslichkeit, und wenn ihr überhaupt ausgingt, so machtet ihr, wie verliebte Leute tun, eine Lustpartie oder einen Ausflug aufs Land, oder ihr gingt
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