Physiologie der Ehe (German Edition)
erklärt hatten. Diderot ist in seinem Wunsche, diese beinahe den Schwankungen der Witterung entsprechenden Stimmungen der Frau zu erklären, so weit gegangen, sie von etwas abzuleiten, was er ›das wilde Tier‹ nennt. Aber man wird diese häufigen Widersprüche niemals bei einer glücklichen Frau beobachten.
Diese Symptome, die so leicht sind wie Gaze, gleichen jenen Wolken, die kaum auf dem Azurblau des Himmels zu bemerken sind und die man Gewitterblumen nennt. Bald aber nehmen die Farben kräftigere Tönungen an.
Es gibt Frauen, denen ihre Mütter, die aus Berechnung, aus Pflicht, aus Gefühl oder aus Heuchelei tugendhaft waren, feste Grundsätze eingeflößt haben. Wenn diese sich so ernstem Denken hingeben, das nach Madame de Staëls Ausdruck das Leben poetischer machen möchte, so halten sie zuweilen die verzehrenden Ideen, von denen sie bestürmt werden, für Einflüsterungen des Teufels; und dann sieht man sie regelmäßig in die Messe, zur Predigt, ja sogar in die Vesper laufen. Diese falsche Frömmigkeit beginnt mit hübschen und kostbar gebundenen Gebetbüchern, mit deren Hilfe diese lieben Sünderinnen sich vergeblich bemühen, die Pflichten zu erfüllen, die von der Religion auferlegt sind, aber um der ehelichen Freuden willen von ihnen im Stich gelassen wurden.
Hier wollen wir einen Grundsatz aufstellen. Grabe ihn mit feurigen Buchstaben in dein Gedächtnis ein!
Wenn eine junge Frau plötzlich wieder zu ihren religiösen Übungen zurückkehrt, die sie bereits aufgegeben hatte, so birgt sich in dieser neuen Lebensweise stets etwas, was für das Glück des Ehemanns von hoher Bedeutung ist. Auf hundert Frauen kommen wenigstens neunundsiebzig, bei denen diese Rückkehr zu Gott beweist, daß sie inkonsequent gewesen sind oder bald inkonsequent sein werden.
Aber ein noch klareres, noch entscheidenderes Symptom, das jeder Ehemann erkennen wird, wenn er nicht ein Dummkopf ist, ist folgendes:
Zu jener Zeit, da ihr beide in den trügerischen Wonnen des Honigmondes schwammet, tat dir deine Frau beständig deinen Willen, weil sie dich liebte. Glücklich, dir einen guten Willen zeigen zu können, den ihr alle beide für Liebe hieltet, hätte sie sich gefreut, wenn du ihr befohlen hättest, in der Dachrinne zu gehen, und sofort würde sie, behende wie ein Eichhörnchen, über die Dächer gelaufen sein. Mit einem Wort, sie fand ein unaussprechliches Vergnügen darin, dir jenes ›Ich‹ zu opfern, das aus ihr ein von dir verschiedenes Wesen machte. Sie war eins geworden mit deiner Natur und hatte damit jenem Verlangen des Herzens gehorcht: Una caro .
Alle diese schönen Vorsätze sind unmerklich verblaßt. Es hat sie verletzt, ihren Willen zunichte gemacht zu sehen, und jetzt wird deine Frau versuchen, die Herrschaft über ihren eigenen Willen wiederzuerlangen, und zwar mittels eines Systems, das sie allmählich, aber mit einer von Tag zu Tag wachsenden Energie entwickelt.
Dieses System nennt sich: ›Die Würde der verheirateten Frau.‹ Die erste Wirkung dieses Systems besteht darin, daß es in eure Liebesfreuden eine gewisse Zurückhaltung und Lauheit hineinbringt, die nur du allein bemerken kannst.
Je nach dem höheren oder niedrigeren Grad deiner sinnlichen Leidenschaft hast du vielleicht während des Honigmondes ahnend eine von jenen zweiundzwanzig Wollüsten erraten, die einstmals in Griechenland zweiundzwanzig Arten von Kurtisanen schufen, die sich als Spezialistinnen mit der Pflege dieser zarten Zweige einer und derselben Kunst beschäftigten. Unwissend und unbefangen, neugierig und hoffnungsvoll, wird deine junge Frau ebenfalls einige Fortschritte in dieser ebenso seltenen wie unbekannten Wissenschaft gemacht haben, die wir dem künftigen Verfasser der ›Physiologie des Genusses‹ ganz besonders anempfehlen.
Es kommt ein Wintermorgen, und gleich den Schwärmen jener Vögel, die die Kälte des Westens fürchten, entfliehen plötzlich, mit demselben Flügelschlag: die Fellatrix, erfinderisch in Koketterien, die die Begierde täuschen, um ihre heißen Sturmangriffe zu verlängern; die Traktatrix, aus dem duftenden Orient stammend, wo man die Wonnen ehrt, die in süße Träume wiegen; die Subagitatrix, eine Tochter von Großgriechenland; die Genferin, mit ihren sanften, kitzelnden Wollüsten; die Korintherin, die im Notfall sie alle ersetzen könnte; dann endlich die schäkernde Phicidierin mit den neckisch knabbernden Zähnen, deren Schmelz gleichsam mit Verstand begabt ist. Eine einzige ist dir
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